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Ein Blick auf 150 Jahre Weltpolitik

Freiburg, 11.03.2025

Zeithistoriker Prof. Dr. Jan Eckel erhält die Opus-Magnum-Förderung der Volkswagenstiftung für ein Buchprojekt zur Geschichte der inter- und transnationalen Politik seit dem späten 19. Jahrhundert. Im Interview spricht er über sein Forschungsinteresse und gibt erste inhaltliche Ausblicke auf das Werk.

Mit der im November 2024 bewilligten Opus Magnum Förderung der Volkswagenstiftung erhält Prof. Dr. Jan Eckel, Inhaber der Professur für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte am Historisches Seminar der Universität Freiburg und Mitglied der Exzellenzclusterinitiative „Constitution as Practice in Times of Transformation (ConTrans)“ Mittel für die vollumfängliche Vertretung seiner Professur für 18 Monate, um sich in dieser Zeit auf sein wissenschaftliches Publikationsvorhaben „Die Geschichte der Weltpolitik seit dem späten 19. Jahrhundert“ zu fokussieren. Das Buchprojekt unternimmt den erstmaligen Versuch, die Geschichte der inter- und transnationalen Politik der vergangenen rund 150 Jahre aus globaler Perspektive zu beleuchten und das in fünf thematischen Längsschnitten: der Konflikt- und Gewaltgeschichte; Ausdehnung und Auflösung der Kolonialherrschaft; den transnationalen Steuerungsversuchen; dem Verhältnis von Wirtschaft und weltpolitischer Ordnung; sowie der zeitgenössischen Deutungsentwürfe von Weltpolitik.

Portrait Jan Eckel.

„Mithilfe eines synthetischen Blicks auf die Weltpolitik seit dem späten 19. Jahrhundert hoffe ich die vielfältigen Forschungen zu bündeln, die das Bild der weltpolitischen Entwicklungen in den letzten Jahren tiefgreifend verändert haben.“

Prof. Dr. Jan Eckel

Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Universität Freiburg

Was hat Sie dazu bewegt, das Buchprojekt in Angriff zu nehmen? Gibt es ein bestimmtes Forschungsinteresse?

„Seit den 1990er-Jahren hat sich der Begriff des Politischen in der Geschichtswissenschaft stark erweitert. In diesen Jahren hat das Forschungsfeld eine Fülle aufschlussreicher Studien hervorgebracht, die mit der Analyse kleinerer Zeiträume und Regionen gezeigt haben, wie komplex und verdichtet Prozesse der internationalen Politik sind. Neue übergreifende Interpretationen sind in diesem Feld bislang allerdings selten geblieben. Mithilfe eines synthetischen Blicks auf die Weltpolitik seit dem späten 19. Jahrhundert hoffe ich die vielfältigen Forschungen zu bündeln, die das Bild der weltpolitischen Entwicklungen in den letzten Jahren tiefgreifend verändert haben. Gleichzeitig reagiert das Projekt auf das Bedürfnis, gegenwärtige Ereignisse in den Horizont längerfristiger historischer Entwicklungen zu stellen. Neue, zeitlich langgestreckte Perspektiven können vielleicht helfen, das aktuelle Zeitgeschehen in einen größeren Kontext einzuordnen.“

Wie hat sich der Politikbegriff der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten erweitert?

„In dieser Zeit haben eine Reihe überkommener historischer Deutungsmuster an Überzeugungskraft verloren. Dazu gehört der enge Fokus auf Staatsbeziehungen ebenso wie europazentrierte Betrachtungsweisen, aber auch stark determinierter Vorstellungen einer alles bestimmenden Prägekraft der Zeitalter der Weltkriege und des Kalten Krieges. Will man aber überregionale Verflechtungen verstehen, müssen sowohl der globale Süden als entscheidender Mitspieler im Ringen um die internationale Ordnung begriffen werden als auch nicht-staatliche Akteure, wie etwa multinationale Unternehmen, internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen (VN) oder die Welthandelsgesellschaft, NGOs oder religiöse Einrichtungen wie die katholische Kirche.“

Die letzten 150 Jahre waren von inter- und transnationaler Verflechtung geprägt – welche Faktoren und Dynamiken haben das politische Handeln dabei in dieser Zeit besonders beeinflusst?

„Im späten 19. Jahrhundert verändern sich die Strukturbedingungen von internationaler Politik, mit Folgen unter anderem für die Kriegführung, die Expansion oder wirtschaftliche Ordnungen. In dieser Zeit entstehen im globalen Norden starke zentralisierte Regierungen mit zunehmenden militärischen, wirtschaftlichen und administrativen Kontrollmöglichkeiten – es kommt zu einer abrupten politischen Machtzunahme von Staaten. Auch damit zusammenhängend werden im Rahmen der imperialen Expansion viele Regionen im globalen Süden kolonisiert oder wirtschaftlich abhängig gemacht. Diese Machtungleichgewichte wirken auch im Zuge der Dekolonialisierung bis heute weiter. Vor allem im 20. Jahrhundert verstärken sich internationale Verflechtungsprozesse, nicht nur zwischen Staaten – es bilden sich auch Allianzen mit nicht-staatlichen Akteuren, die erheblichen Einfluss auf wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse nehmen. Nach den Weltkriegen wurden beispielsweise die VN, der Internationaler Währungsfonds oder das Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen gegründet. Dabei ist die Vorstellung einflussreich, dass globale Probleme nur bewältigt werden können, wenn grenzübergreifende Regeln und Prinzipien für Institutionen, Märkten und Gesellschaften gelten – später sollte man das als „Globalisierung“ bezeichnen. Verflechtungen waren also auch eine Reaktion auf Konflikte und Kriege oder entstanden angesichts großer Menschheitsprobleme.“

Wie haben sich Konflikte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verändert?

„Es herrscht ein weltpolitischer Kampf um Vorrang, der teilweise bis heute anhält. Der Kalte Krieg ist dabei eine der prägekräftigsten Phasen. Aber nicht nur das Ringen der Weltmächte gehört dazu, sondern auch Nationalbildungskonflikte, wie etwa in den 1890er Jahren auf dem Balkan, in Osteuropa während des Zeitalters der Weltkriege oder seit den 1960er-Jahren in der postkolonialen Welt. Dabei handelt es sich meist um sehr gewaltsame Auseinandersetzungen um die politische, wirtschaftliche, territoriale und gesellschaftliche Ordnung eines bestimmten Staats. Viele Konflikte sind nur zu verstehen, wenn man ihren multidimensionalen Charakter erkennt. Innerstaatliche Auseinandersetzungen sind oft vielschichtig und verknüpfen sich zusätzlich noch mit internationalen Gegensätzen, sie werden von staatlichen wie auch von nicht-staatlichen Akteuren beeinflusst. Ein Beispiel ist der Russische Bürgerkrieg am Ende des 1. Weltkriegts: Neben dem Kampf zwischen Revolutionären und Konterrevolutionären führte der bolschewistische Staat einen Territorialkrieg mit Polen. Außerdem schickten die westlichen Allierten und Japan Truppen ins Land. Etwa gleichzeitig gab es nicht zuletzt riesige Bauernaufstände gegen die bolschewistische Neuordnung der ländlichen Gegenden, deren Niederschlagung in regelrechte Kleinkriege ausartete. Ähnlich vielschichtige Konflikte gab es aber auch im Kalten Krieg oder im globalen Süden.“

Was bedeutet die Förderung für Sie und Ihren beruflichen Alltag?

„Zeit ist ein kostbares Gut im professoralen Alltag. Die Förderung ist für mich eine außergewöhnliche Möglichkeit, ein derart umfassendes und zeitintensives Buchvorhaben verwirklichen und mich ohne größere Ablenkungen dem Thema widmen zu können. Es soll ein Buch entstehen, dass sich zwar in erster Linie an ein Fachpublikum richtet, aber auch an politisch interessierte Menschen außerhalb der Geschichtswissenschaft.“

Prof. Dr. Jan Eckel ist seit 2021 Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Geistes- und Geschichtswissenschaften, der Menschenrechte sowie der internationalen Politik im 20. Jahrhundert. Eckel wirkt mit an der Exzellenzclusterinitiative „Constitution as Practice in Times of Transformation (ConTrans)“ der Universität Freiburg.

Prof. Dr. Jan Eckel

Professur für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte
Historisches Seminar

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