Künstliche Intelligenz – Neu denken, was Denken ist
Freiburg, 05.11.2025
Für den Philosophen Tobias Rees ist KI eine Erschütterung für das philosophische Projekt Europas. In diesem Umbruch liege aber auch eine Chance, das Denken neu zu denken, so eine zentrale These seines Vortrags an der Universität Freiburg. Rektorin Kerstin Krieglstein sieht darin einen Auftrag, diesen Umbruch als Universität mitzugestalten.

Die technologischen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) markieren einen Umbruch für moderne Gesellschaften. KI hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt und auf die Frage, wie wir Wissen produzieren und konsumieren. Für den Philosophen Prof. Dr. Tobias Rees, der nach seiner Beschäftigung an renommierten Universitäten heute außerhalb akademischer Strukturen arbeitet, provinzialisiere sie Europa zudem nicht nur ökonomisch und geopolitisch, sie erschüttere auch die philosophischen Grundlagen Europas. Diesen Befund stellte der Philosoph ins Zentrums seines Vortrags „Artificial Intelligence and the 2500-year-old project called Europe“ am 28. Oktober an der Universität Freiburg.
Europas Chance, dem Phänomen KI Bedeutung zu geben
KI, so die zentrale These des Vortrags, entkomme der logischen Architektur des menschlichen Denkens und eröffne damit einen völlig neuen Denkraum. KI sei kein Werkzeug im klassischen Sinn, sondern ein „latenter Raum“ mit Millionen von Dimensionen, in dem tokenisierte Datenpunkte zueinander in Beziehung stünden.
Die infrastrukturellen Anforderungen an die Weiterentwicklung von KI seien gewaltig: Datenzentren, Chipfabriken, günstige Energie und hochqualifizierte Talente. Europa, so die Diagnose, verfüge über all das nur unzureichend. Die Investitionsbemühungen seien marginal im Vergleich zu den rund 500 Milliarden US-Dollar, die US-Technologiekonzerne allein für das Jahr 2026 angekündigt haben.
Gleichzeitig aber sei Europa auf einzigartige Weise positioniert, um das Phänomen KI zu verstehen. Denn während man im Silikon Valley oder anderen technologischen Vorreitern wie Abu Dhabi nur nach der Funktionalität und dem ökonomischen Erfolg von KI frage, verfüge Europa über eine tief verankerte Tradition des Nachdenkens über Bedeutung.
„Wenn KI per se bedeutungslos ist, dann muss Europa jene Räume schaffen, in denen Bedeutung entsteht.“
Prof. Dr. Tobias Rees
Philosoph
Lange habe man angenommen, dass der menschliche Geist einzigartig sei – durch Logik, Kreativität, durch Denken selbst. Doch diese Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine beginne sich aufzulösen. Allerdings sei KI letztlich bedeutungslos. Und genau darin, so Rees, liege Europas Chance: „Wenn KI per se bedeutungslos ist“, so der Appell, „dann muss Europa jene Räume schaffen, in denen Bedeutung entsteht.“
Dafür brauche es in Europa eine neue Infrastruktur des Denkens und die Bereitschaft, die alten Grenzen zwischen Geistes- und Ingenieurwissenschaften ebenso aufzulösen wie die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Die KI öffne neue Räume, sie zu füllen bleibe Aufgabe des Menschen in Interaktion mit KI.
Gesellschaftliche Umbrüche durch KI als Universität mitgestalten
Auch Universitäten fordere diese Erschütterung heraus, so Rektorin Prof. Dr. Kerstin Krieglstein in ihrem Grußwort, und betonte das Selbstverständnis der Universität Freiburg, diesen Umbruch mitzugestalten und der Gesellschaft mit wissenschaftlicher Expertise Orientierung zu bieten. „Wir müssen unsere Erneuerungsfähigkeit unter Beweis stellen – nicht im geschützten Raum der Disziplinen, sondern in offener Zusammenarbeit mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur.“ Die Forschung von Tobias Rees, die technische und philosophische Aspekte der KI verbinde, sei dabei gleichzeitig Inspiration und Bestätigung der Überzeugung, welche der Gesamtstrategie der Universität Freiburg zugrunde liegt: „Wir müssen den Mut haben, über Fachgrenzen hinaus zu reflektieren. Nur so gelingt es uns als Universität nicht nur auf die Zukunft zu reagieren, sondern diese mitzugestalten.“
„Wir müssen unsere Erneuerungsfähigkeit unter Beweis stellen – nicht im geschützten Raum der Disziplinen, sondern in offener Zusammenarbeit mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur.“
Prof. Dr. Kerstin Krieglstein
Rektorin
Videoaufzeichnung des Vortrags von Tobias Rees
Zur Person – Tobias Rees
Rees war Professor an renommierten Universitäten in der Schweiz, Kanada und den USA. Heute arbeitet er außerhalb akademischer Strukturen, um neue Formen philosophischer Forschung zu entwickeln. Mit limn, einem KI-Studio an der Schnittstelle von Philosophie, Kunst und Technologie, bezeichnet er sich selbst als »Philosopher in the Wild«.
Ermöglicht wurde die Veranstaltung im Freiburg Institute for Advanced Studies durch die Unterstützung der Förderstiftung Roland Mertelsmann und die Neue Universitätsstiftung Freiburg.