Freiburg, 04.06.2025
„Demokratie im Zeitalter der Desinformation“ heißt eine Konferenz der Professur für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte, die am Freitag, den 6. Juni 2025 an der Universität Freiburg stattfindet. Organisiert und geleitet wird sie von den Philosophen Zlatko Valentić und Martin Baesler. Valentić ist Lecturer für politische Theorie und arbeitet am Centre for Security and Society (CSS) der Universität Freiburg im EU-Projekt „Vigilant“ zur Erkennung und Bekämpfung politischer Desinformation mithilfe von KI-Technologie. Im Interview spricht er über politische Deutungsräume, Solidarität und „Bullshit“.
Herr Valentić, leben wir wirklich im „Zeitalter der Desinformation“?
Desinformationen hat es in der Politik immer schon gegeben. Trotzdem würde ich sagen, dass sich mit Donald Trump so etwas wie ein qualitativer Sprung ergeben hat: In der politischen Theorie von Platon und Aristoteles über das christliche Mittelalter und Machiavelli bis in die Gegenwart gab es den Konsens: Wenn man schon lügt, sollte man wenigstens nicht auffliegen. Noch im Sowjetkommunismus hieß die Staatszeitschrift „Prawda“, also „Wahrheit“, obwohl die Leute gewusst haben, dass dort nur eine sehr bestimmte Auslegung der politischen Wirklichkeit verbreitet wurde… Und jetzt kommt mit Trump eine Figur, die offenkundig lügt, der das aber völlig gleichgültig ist, die also gar keinen Bezug mehr zur Wahrheit propagiert, sondern die Wahrheit schamlos nach dem auslegt, was für die eigenen politischen Interessen gerade passt.
Aber Manipulationen gehören in gewisser Weise zum Wesen einer politischen Debatte, oder?
Ja, in der Politik geht es immer auch darum, dass wir die Wirklichkeit deuten und versuchen, uns gegenseitig zu überzeugen. Und dafür wird die Wirklichkeit eben oft so dargestellt, wie wir sie gerne sehen wollen… In meiner Forschung beschäftige ich mich grundsätzlich mit der Frage: Wie gelingt vor diesem Hintergrund politische Verständigung, die für Demokratien zentral ist? Wir müssen zu einer Verständigung kommen, um unser System aufrechtzuerhalten – selbst wenn es letztlich nur darauf hinausläuft, dass wir uns über die Verfahren einig sind und diese akzeptieren. Der Raum des Politischen, in dem Verständigung stattfindet, beschreibe ich als Deutungsraum. Das heißt: Es geht nicht einfach nur um Fakten oder Meinungen, sondern um einen Raum, in dem Verständigung möglich wird – oder auch scheitert. Dieser Raum ist von mehreren Knotenpunkten geprägt. Zum einen natürlich vom rationalen Austausch von Argumenten, also dem Versuch, einander mit Gründen zu überzeugen. Aber genauso wichtig sind Emotionen. Denn wie wir die Welt wahrnehmen und deuten, hängt auch immer mit Gefühlen zusammen. Hinzu kommt unsere Geschichte: Warum denken wir überhaupt so, wie wir denken? Welche Erfahrungen, welche Erzählungen prägen uns? Und dann ist das Politische immer auch ein Ort des Streits – ein Raum, in dem unterschiedliche politische Ideen miteinander ringen. Es ist also kein neutraler Raum, sondern einer, in dem um Deutungsmacht gekämpft wird. Gerade deshalb ist dieser Raum offen – offen für Wahrheit, aber eben auch offen für Lüge.
Und in diesem Deutungsraum gibt es oft gar kein einfaches „wahr“ oder „falsch“….
Genau, politische Aussagen lassen sich nicht beweisen wie mathematische Sätze, sie sind stets Deutungen. Man kann sie oft so oder so deuten – und wir haben nie die Möglichkeit, alle Entwicklungen im Voraus zu kennen: Es zeichnet ja den Charakter einer politischen Entscheidung aus, dass wir nicht sicher sein können, was im nächsten Moment geschieht… Diese Bedingungen des politischen Raums bieten auch den Nährboden dafür, dass man die Wirklichkeit in die eine oder andere Richtung auslegt – oder bewusst eine bestimmte Deutung streut, vielleicht sogar mithilfe von Desinformationen. Das ist sozusagen der klassische Weg. Aber selbst bei Machiavelli beherrscht der Fürst immerhin die Kunst der Heuchelei, er lässt die Leuten glauben, dass er tugendhaft ist. Diese Maske ist wesentlich – bei Trump hat man das Gefühl, dass auch diese Maske fällt.
„In den sozialen Medien erhält „Bullshit“ in der Regel deutlich mehr Aufmerksamkeit als die oft unspektakuläre Wahrheit. So entsteht ein Umfeld, in dem sich die Leute ihr Weltbild nach Belieben zusammenbasteln – nicht auf Grundlage von Erkenntnis, sondern entlang emotionaler und ideologischer Präferenzen.“
Trump erweckt nicht einmal mehr den Anschein, er würde nicht lügen…
Es geht nur noch darum, die eigenen Interessen zu befriedigen. Wenn am nächsten Tag eine andere gefühlte Wahrheit besser den eigenen Zielen entspricht, dann nimmt man eben die. Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt nennt das „Bullshit“ – Bullshit hat ein Verhältnis zur Wahrheit, das im Grunde gar kein Verhältnis mehr ist. Der Lügner kennt die Wahrheit, er setzt sie voraus und versucht, sie zu verdecken. Dem Bullshitter ist die Wahrheit gleichgültig. Es geht ihm nicht darum, ob eine Aussage wahr oder falsch ist – sondern allein darum, Wirkung zu erzielen. Er haut die Dinge einfach raus, raus, raus, ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt. Entscheidend ist nicht die Beziehung zur Wirklichkeit, sondern der performative Effekt seiner Rede. Dieser Effekt wird durch die sozialen Medien massiv verstärkt. Denn dort erhält Bullshit in der Regel deutlich mehr Aufmerksamkeit als die oft unspektakuläre Wahrheit. So entsteht ein Umfeld, in dem sich die Leute ihr Weltbild nach Belieben zusammenbasteln – nicht auf Grundlage von Erkenntnis, sondern entlang emotionaler und ideologischer Präferenzen. Social-Media-Plattformen bieten zudem ein ideales Instrumentarium, um Leute gezielt mit Bullshit zu überfluten, sofern man sie geschickt zu nutzen weiß. Donald Trump ist darin ein Meister: Er verbreitet nicht nur eine gezielte Desinformation, sondern schiebt sofort 15 weitere hinterher. Der Wahrheitsbegriff wird dadurch untergraben, weil das Publikum irgendwann aufhört zu unterscheiden.
Warum funktioniert das so gut?
Diese Frage müssen wir dringend weiter klären für unser demokratisches Zusammenleben. Ich sehe hier auf jeden Fall eine große Gefahr für die politische Verständigung, denn diese setzt immer so etwas wie Solidarität oder ein Vertrauensverhältnis voraus: Man muss sich auf das Wort des Gegenübers grundsätzlich verlassen können.
Auch wenn er anderer Meinung ist….
Genau. Wir können in einer Demokratie das Spannungsverhältnis des politischen Raums nicht dadurch auflösen, dass wir sagen: Ich habe die eine Wahrheit und ich bestehe darauf, auch wenn sie kontrafaktisch ist. Trump geht ja so weit, dass er selbst die Verfahren, die unser politisches Zusammenleben garantieren, infrage stellt, indem er zum Beispiel Wahlen nicht anerkennt. Diese Verweigerung der Realität kann dazu führen, dass wir irgendwann in einer Gesellschaft aufwachen, in der sich nur noch unterschiedliche Lager gegenüberstehen, die gar nicht mehr miteinander reden können.
Auf der Konferenz sprechen Sie über den „Versuch, in der Lüge zu leben“. Wie sieht dieser Versuch aus?
Das bezieht sich auf Vaclav Havels politischen Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben“. Die Gefahr beim Leben in der Lüge sehe ich darin, dass man sich immer mehr anpasst an die Orientierungslosigkeit und damit das Vertrauen in demokratische Prozesse und in eine gemeinsame Basis verliert. Der nächste Schritt ist dann, dass man gewissermaßen vergisst, dass man in der Lüge lebt – und wir damit unser eigenes demokratisches System untergraben.
„Wir müssen immer wieder darauf bestehen, dass der Unterschied zwischen richtig und falsch nicht beliebig ist. Wer diesen Unterschied negiert, stellt auch die Bedingungen gemeinschaftlicher Verständigung infrage.“
Was lässt sich dagegen tun?
Wichtig ist, dass wir ein Bewusstsein entwickeln, was dieser Versuch, in der Lüge zu leben, mit uns macht. Dass er zu einer schleichenden Erosion unserer Demokratie führt, ausgelöst durch eine Erosion des Bewusstseins von Bürger*innen– aber auch, was die Politik damit anrichtet, wenn sie sich des Mittels der Desinformation auf diese Weise bedient. Wir müssen immer wieder darauf bestehen, dass der Unterschied zwischen richtig und falsch nicht beliebig ist. Wer diesen Unterschied negiert, stellt auch die Bedingungen gemeinschaftlicher Verständigung infrage. Und wir müssen schon den Schüler*innen beibringen, sich im politischen Deutungsraum zurechtzufinden und zu akzeptieren, dass der Andere auch Recht haben könnte, wie es der Philosoph Hans-Georg Gadamer einmal formuliert hat.
Streiten, aber auf einer gemeinsamen Basis…
… und ohne dass der politische Streit gleich in eine Art Kulturkampf umschlägt. Das verstehe ich unter Solidarität. Earl of Shaftesbury (Anthony Ashley Cooper), ein britischen Philosoph aus dem 18. Jahrhundert, hat Solidarität mit dem Humor verglichen: Wenn wir uns gegenseitig Witze erzählen, dann wissen wir genau, wie wir unsere Worte deuten, weil wir eine gemeinsame Basis haben; Sie nehmen das, was ich ihnen sage, nicht todernst, sonst verstehen sie den Witz gar nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir als Gesellschaft genau diese Solidarität verlieren – weil uns zunehmend die Fähigkeit fehlt, wirklich zu hören, was das Gegenüber eigentlich sagen will, jenseits des bloß Gesagten. Doch genau darin liegt die Voraussetzung für Solidarität: im Versuch, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen, anstatt ihm das Wort im Mund umzudrehen. Diese Form der wechselseitigen Achtung wird durch Desinformation untergraben – sie zerstört das Vertrauen, das Verständigung erst möglich macht.
Die Konferenz mit Podiumsdiskussion „Demokratie im Zeitalter der Desinformation“ findet am Freitag, 6. Juni 2025 von 9 bis 18 Uhr in der Aula der Universität Freiburg statt. Die Veranstaltung richtet sich an alle Interessierten und ist kostenlos.