Wenn literarische Texte von Katastrophen erzählen (seien es Naturkatastrophen, Epidemien oder Kriege), dann geht es immer auch um Resilienz – denn Literatur erzählt nicht nur davon, wie Menschen Katastrophen überleben, sondern auch davon, wie sie sie verarbeiten und bewältigen. Diese Aneignung von Katastrophen mit den Mitteln der Literatur kann man zugleich als Beispiel für ‚kulturelle Resilienz‘ betrachten.
In der neueren Forschung wird Resilienz nicht so sehr als Eigenschaft, sondern als Prozess betrachtet. Dieser Prozess basiert maßgeblich auf Akten des Erzählens, d.h. der sinnzuweisenden Organisation von bedrohlich auseinanderfallenden Ereignissen und Erfahrungen. Der Vortrag zeigt am Beispiel von drei Texten über Naturkatastrophen und Epidemien, wie Literatur Resilienz einerseits eindrücklich veranschaulicht und andererseits aktiv kulturelle Resilienzstrategien entwickelt. An Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili, Albert Camus‘ Die Pest und José Saramagos Die Stadt der Blinden werden 1) Verfahren der Sinngebung, 2) Erfahrungen von Zugehörigkeit und 3) das Erkunden von ethischen Handlungsspielräumen als Narrative von Kohärenz analysiert. Im Sinne einer ‚kulturellen Narratologie der Resilienz‘ ist schließlich zu fragen und zu diskutieren, welche Rolle speziell die Literatur und ihre medienspezifischen Formen für die narrative Konstruktion von Resilienz spielen.