Siegelement der Uni Freiburg in Form eines Kleeblatts

Im Schatten des Konjunktivs – Dr. Valerie Lang im Portrait

Alles fing mit einer Tasse Tee an. Als Dr. Valerie Lang noch Oberstufenschülerin war, hatte sie einen Physiklehrer, der jede Unterrichtsstunde mit einer Runde Tee für die Klasse eröffnete. Mit einem warmen Schluck Tee im Magen „lassen sich Integrale schließlich deutlich besser berechnen“. Lang, die eigentlich immer mehr Affinität für die Mathematik empfand, begann, sich zunehmend auf den Physikunterricht zu freuen. Als sie dann auch noch die Verbindung zwischen Mathe und Physik erkannte, war es um sie geschehen und ihre Entscheidung für ein Diplomstudium mit anschließender Promotion in Physik kam wie aus der (Teilchen-)Kanone geschossen.

Um mir, als absoluter Laiin in Physik, ihre Forschung nahe zu bringen, beginnt Valerie Lang beim Welle-Teilchen-Dualismus; weder Licht noch Materie ist exklusiv Welle oder Teilchen. Diese Erkenntnis nutzt Lang bis heute in ihrer Forschung zu tau-Leptonen, die die Physikerin im Large Hadron Collider (LHC), einem ringförmigen Teilchenbeschleuniger, am CERN in Genf untersucht. Mit ihrer Forschung will Lang Dunkle Materie besser verstehen, da ihre Beschaffenheit weiterhin ein absolutes Mysterium ist und ihre Teilchen bisher nicht in einem Labor nachgewiesen werden konnten. Um der Entstehungsgeschichte der Menschheit auf den Grund zu gehen, schießt sie Teilchen auf einander und untersucht die Kollisionen auf Phänomene wie kurz nach dem „Big Bang“. Die thematisch passende US-Sitcom „The Big Bang Theory“ hat sie in großen Teilen geschaut und stuft sie fachfraulich als „ziemlich gut recherchiert, wenn auch deutlich überspitzt,“ ein.

Der LHC hat einen Umfang von sagenhaften 27 Kilometern und befindet sich 100 Meter unter der Erdoberfläche. Eigentlich hätte der Collider schon Ende 2008 fertiggestellt werden sollen, aber da Lang zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit ihrer Diplomarbeit begonnen hatte und ihn gar nicht hätte benutzen können, ging ein Magnet kaputt, um die Inbetriebnahme pünktlich zu ihrem Diplomarbeitsbeginn zu garantieren – so sieht Valerie Lang die Situation zumindest gerne. Obwohl sie inzwischen an der Universität Freiburg als Akademische Rätin angestellt ist, sich auf dem besten Weg zu Habilitation befindet und die ganze Analyse der CERN-Daten auch remote aus dem Home-Office laufen lassen kann, braucht sie den gelegentlichen Besuch in Genf. Um einen Ausgleich zu der Verarbeitung riesiger Datenmengen und der Planung der nächsten Kollisionen im Labor zu haben, geht Lang am liebsten tanzen; oder, wenn ihr das zu alltäglich wird, reist sie auch mal nach China und macht ein paar Karate-Übungen auf der Großen Mauer. Den 2. Dan (Schwarzgurt) hat sie schließlich nicht umsonst. Sobald es sie dann wieder ans CERN zieht, wird ihre Begeisterung für ihren Beruf aufs Neue entflammt und ihr Enthusiasmus springt auf andere über. Das Tolle an der Physik, laut Valerie Lang, ist, dass man „irgendwann in Bereiche kommt, die unseren Verständnishorizont sprengen und wirklich an der Grenze dessen sind, was ich mir auch nur ansatzweise vorstellen kann.“

Sobald Lang das Gefühl hat, sie kommt einem besseren Verständnis eines physikalischen Problems zu nahe, springt sie mit Anlauf zum nächsten, was sie erneut an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft und Logik bringt. Als Grenzgängerin mit Leib und Seele brennt sie dafür, nicht in ihrer Komfortzone zu bleiben und die Limits, die ihr bekannt sind, weit vor sich herzuschieben, immer auf der Suche nach neuem Nicht-Wissen. Ihre Komfortzone verlässt sie nicht nur auf einer intellektuellen Ebene, sondern auch in ihrem professionellen Leben; immer mit dem Gedanken: „Bloß weil ich den Eindruck habe, ich kann das nicht, lasse ich mich nicht davon abhalten, es zu tun.“

Mit ihrem Hintergrund hätte sich Lang vermutlich nicht direkt um eine Stelle als Projektleiterin im Bereich Hardware-Robotik bemüht, aber mit etwas Druck ihrer damaligen Chefin Prof. Ingrid Gregor konnte sie sich dazu durchringen, das Projekt anzunehmen, ihr (fast ausschließlich männliches) Team mehr als souverän durch den Prozess zu leiten und nebenbei noch eine ganze Menge von ihren Elektriker-Kollegen über Stecker zu lernen. Der Roboter ist heute noch in Betrieb und von so manchen sogar der Liebling im Labor.

In der Physik sind heute zwar schon deutlich mehr Frauen beschäftigt, dennoch ist das Feld weiterhin zu guten 70% männlich; da sticht man als Frau sofort ins Auge. „Wenn du scheiterst, kriegt es jeder mit, aber wenn du gut bist, dann kriegt es auch jeder mit.“ Es ist nicht immer leicht, mit diesem Wissen im Hinterkopf seine Bescheidenheit abzulegen. Selbst für Valerie Lang mit ihrer einnehmenden Art ist es manchmal schwer, dem Impostor-Syndrom – mit seinen Selbstzweifeln und der Schwierigkeit, Erfolge dem eigenen Können zuzuschreiben – nicht zu verfallen. Ihre Bewerbungen, Anträge und Vorträge gibt sie gerne ihren Kolleginnen zum Korrigieren, damit die Menge an Konjunktiven im Text gegen Null geht. „Das ‚wäre‘ nicht ein interessantes Projekt, das ist geil!“, meint Lang exemplarisch. Zu oft sieht sie, wie Frauen in ihren Anforderungen oder Vorstellungen zu zurückhaltend sind oder ihre Leistungen kleinreden. Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts hat sie bisher nicht erfahren, räumt jedoch ein, dass es in der Physik eindeutig mehr weibliche Vorbilder und Frauen in langfristigen Führungspositionen geben sollte. In ihrer Arbeitsgruppe zum ATLAS (A Toroidal LHC Apparatus) Experiment, eins der vier wirklich großen am CERN, gibt es inzwischen einige Frauen, die etwas zu melden haben. Als sie davon erzählt, grinst sie plötzlich verschmitzt und verrät mir ein bisschen mehr über ihre Rolle dabei: „Und dann sitzt du da in diesem Kontrollraum [vom LHC] und sagst denen, was sie mit den Teilchenstrahlen machen sollen. Das find ich ziemlich cool.“ Es ist also definitiv möglich, als Frau in der Physik erfolgreich zu sein. Valerie Lang bezeichnet diese Gegebenheit als Beweis durch Realität und das ist keinesfalls trivial.

Portrait von Leah Bohr

Leah Bohr hat ihren Bachelor in Anglistik und Kognitionswissenschaft an der Uni Freiburg gemacht und studiert jetzt letzteres jetzt im Master in Tübingen. Wenn sie nicht gerade am Arbeiten oder Programmieren ist, findet man sie meistens im Gym oder draußen auf ihrem pinken Fahrrad. Trotz ihrer Workaholic-Tendenz weiß sie, wie man entspannte Abende auf dem Balkon mit selbstangebauten Tomaten genießen kann. Ihre Spanisch-Kenntnisse hat sie zu großen Teilen durch Anime Untertitel erworben.