Siegelement der Uni Freiburg in Form eines Kleeblatts

„Architektur verändert die Gefühle“ – Diana Miznazi im Portrait

Für die syrische Architektin und Restauratorin Diana Miznazi ist Wissen Macht. Sie sieht sich selbst als Vertreterin der in der Wissenschaft tätigen Migrantinnen. Diana ist stolz und dankbar für das, was sie als eine von ihnen erreicht hat: „Es ist eine große Verantwortung, die ich trage, und ich versuche, nicht ständig daran zu denken“, lacht sie.

Sie ist Doktorandin und Forscherin an der Abteilung für Byzantinische Archäologie der Universität Freiburg. Von einem Büro mit großen Fenstern und Blick auf die Altstadt aus koordiniert sie das wunderbar betitelte Projekt MARBLE (Mixed and Augmented Reality in Blended Learning Environments). „Die Archäologie ist im Grunde ein 3D-Feld“, erklärt sie, „aber wir studieren sie [Objekte, Gebäude] auf einem 2D-Bildschirm oder in einem Buch.“

Das Projekt nutzt gemischte und erweiterte Realität, um diese Beschränkung zu umgehen, indem es den Schülern ermöglicht, die räumliche Komplexität archäologischer Stätten interaktiv zu erkunden. Der Schwerpunkt dieses Projekts ist didaktischer Natur, was ihr sehr gefällt. Die Arbeit an einer Universität ist für Miznazi ideal, denn sie sagt: „Ich liebe es, unter Menschen zu sein, die lernen – vor allem in der Hochschulbildung.  Niemand muss dort sein, aber Menschen entscheiden sich trotzdem dafür, Dinge zu studieren, die sehr spezifisch sind, und das finde ich faszinierend.“

Der technische Aspekt des Projekts MARBLE war eine Herausforderung, aber der ausgebildeten Architektin sind Hindernisse nicht fremd. Als gebürtige Aleppinerin und Immigrantin, die in verschiedenen Teilen des Nahen Ostens und nun in Europa gelebt hat, musste sie größere Hürden überwinden und sich an neue Arbeits- und Lernweisen gewöhnen. Während des fünfjährigen Architekturstudiums in ihrer Heimatstadt verbrachte sie viele Nächte in der Universität, um an Projekten zu arbeiten. Um die Fertigkeiten des Handzeichnens zu entwickeln, wurde es als pädagogisch sinnvoll erachtet, digitale Vorlagen erst im dritten Studienjahr einzuführen. Sie befand sich in den ersten Monaten ihres ersten Masterstudiums im Jahr 2011, als die syrische Revolution begann. Im Jahr 2013, gegen Ende ihres Masterstudiums, hatte sich die Sicherheitslage drastisch verschlechtert. Strom, Wasser und Internet waren nur noch zwei bis drei Stunden pro Tag verfügbar, und die Geräusche von Bombenangriffen waren ein ständiges Hintergrundgeräusch in ihrem täglichen Leben. Diana war jedoch fest entschlossen, ihren Abschluss zu machen. „Ich mag es nicht, die Dinge schleifen zu lassen“, sagt sie mit einem unbeschwerten Lächeln. Diese Entschlossenheit führte sie zu einem zweiten Masterstudiengang in Konservierungsstudien in Doha, der Hauptstadt von Katar. Nach ihrem Abschluss war sie als Kulturbeauftragte der UNESCO in Doha tätig und dokumentierte die Schäden, die durch Bombenangriffe auf das Weltkulturerbe der Altstadt von Sana’a, der Hauptstadt des Jemen, entstanden waren. Danach war sie vier Jahre lang für das Deutsche Archäologische Institut in Istanbul tätig, bis sie 2020 nach Deutschland kam.

Während ihres zweiten Masterstudiengangs entwickelte Miznazi eine neue Perspektive des Lernens. Dieses vom University College London (UCL) Qatar organisierte Programm zielte darauf ab, renommiertes akademisches Fachwissen mit Schwerpunkt auf der Golfregion und dem Nahen Osten zu nutzen. „Sie sagten mir, dass ich viel Wissen hätte, aber dass ich an meinem kritischen Denken arbeiten müsse“, erinnert sie sich. Als sie Jahre zuvor in Aleppo Architektur studierte, „fragte uns niemand nach unserer Meinung zu dem, was uns gelehrt wurde“, sagt sie. Sie erklärt, dass die vorherrschende Mentalität sehr konservativ und hierarchisch war. Am UCL fand Diana die Fülle der Materialien, auf die sie zugreifen konnte, fast überwältigend, während die Studenten in Aleppo immer mit einem Mangel an Quellen zu kämpfen hatten. Manchmal gab es in der Bibliothek nur ein einziges Buch zu einem bestimmten Thema, und die Wartezeiten waren lang. Dass sie diesen Widrigkeiten trotzen musste, hat ihrer Meinung nach auch eine gute Seite: Sie hat eine große Fähigkeit entwickelt, sich das benötigte Wissen zu beschaffen und Lösungen zu finden. Im Gegensatz dazu erscheint ihr das Studium in Deutschland fast wie eine „verwöhnte“ Erfahrung, obwohl sie großen Respekt vor der konträren Aufgabe hat, sich in einer Flut von Informationen zurechtzufinden.

Neben der Leidenschaft für ihre Arbeit schwingt die Sorge mit, dass sie zu wenig Zeit mit ihrem Sohn verbringt, der in Freiburg den Kindergarten besucht. „‚Du kannst nicht für mich entscheiden!‘, das habe ich meiner Mutter nie gesagt“, sagt sie lachend. Miznazi ist froh, dass ihr Kleiner ihr hingegen so etwas gesagt hat und dass in seiner Erziehung von schon immer auf kritisches Denken und Selbstständigkeit Wert gelegt wird. Auch ihre eigene Schulzeit als Kind war eher außergewöhnlich. Ihre Eltern waren beide hochqualifiziert im Bereich Ingenieurwesen. Vor allem ihre Mutter legte großen Wert auf Lernen, gute Noten und die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. „Heiraten und von einem Mann unterstützt zu werden, war nie mein Plan und ich habe es nie ernst genommen“, sagt sie. Ein paar Jahre später koordinierte sie am Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul das Projekt Stewards of Cultural Heritage. Eines der individuellen Forschungsprojekte der teilnehmenden Stipendiat*innen lag ihr besonders am Herzen: ein Bilderbuch mit dem Titel The Magic Words (Die magischen Worte), das über die alte Eblaitische Sprache als Teil des syrischen Kulturerbes unterrichtet. „Als ich klein war, gab es in Syrien nur wenige Bilderbücher für Kinder“, erklärt sie.

Nach Miznazis eigener Aussage gibt es kaum eine Frau in Syrien, die nicht von irgendeiner Form der Diskriminierung betroffen ist. Zum Beispiel hält die elterliche Skepsis gegenüber der Koedukation in der Hochschulbildung viele Mädchen in Syrien zurück. Glücklicherweise war das für sie nie ein Problem. Sie hält sich in dieser Hinsicht für sehr privilegiert, vor allem dank der Unterstützung durch ihre Familie. Die Bescheidenheit der Architektin wird deutlich, wenn sie über ihr eigenes Privileg spricht. Als sie an einem früheren Arbeitsplatz sexuell belästigt wurde, kündigte sie die Stelle sofort. „Ich hatte großes Glück, denn ich konnte es mir leisten, diesen Schritt zu gehen, und musste nicht verhungern“, sagt sie. Bei einer anderen Gelegenheit, als sie ein Team koordinierte, wollten die männlichen Mitarbeiter keine Anweisungen von einer „Dame“ entgegennehmen und weigerten sich, diese zu befolgen. Sie sagt offen heraus, dass es ihnen schließlich gelang, zumindest eine Zeit lang zu kooperieren.

Meistens wurde sie Zeugin von Frauenfeindlichkeit, die andere Frauen betraf, auch wenn sie es damals vielleicht nicht so genannt hätte – vor allem als Kind und Jugendliche. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit und hatte nicht den mentalen Freiraum, um solche Episoden zu verarbeiten. Ihr Rat an Frauen lautet, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern durchzuhalten und das Bewusstsein für die Probleme zu schärfen, mit denen sie konfrontiert sind. Seit sie in Deutschland lebt, hat sie diese Art von Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts nicht mehr erlebt. Doch die Beschränkungen und Vorurteile, die sich aus der Tatsache ergeben, dass sie eine Migrantin ist, zeigen sich in der Komplexität der Bürokratie und dem Versuch, sich in der deutschen akademischen und nicht-akademischen Gemeinschaft zu beweisen, wo sie die Sprache nicht fließend spricht. Der größte Stress entsteht derzeit durch die Kürze ihrer Aufenthaltserlaubnis.

Miznazis Faszination für Gebäude begann schon früh und ist größer als alle Vorurteile, mit denen sie konfrontiert war, oder die Unbeständigkeit des Lebens als Migrantin. Sie erinnert sich daran, dass es „nicht viele Parks oder Wälder gab“, als sie in Aleppo aufwuchs, und so erkundete sie die Straßen der Altstadt. Die traditionellen Innenhofhäuser mit ihren zentralen Brunnen machten ihr klar, dass „Architektur die Gefühle verändert“, und sie wollte ihr Leben diesem Thema widmen. Später, als die örtlichen Sehenswürdigkeiten durch die Bombenangriffe in Schutt und Asche gelegt worden waren, ein schnelles Ende des Konflikts aber immer noch plausibel erschien, beschloss sie, sich auf Konservierung und Restaurierung zu spezialisieren. Zu dieser Zeit änderte sich die Bedeutung von Wissen von etwas Instrumentellem, mit dem man seinen Platz in der Gesellschaft einnehmen konnte, zu etwas, das ihrer Gemeinschaft dienen konnte. Mehr als ein Jahrzehnt später schwelt der Krieg immer noch, und die Bedeutung von Wissen hat sich erneut verändert. Es ist zu einer Manifestation von Widerstandsfähigkeit und Trotz geworden.

Portrait von Ani Diaconu

Ani Diaconu studiert Neurowissenschaften im Master an der Universität Freiburg. Ihre Interessen sind interdisziplinär und reichen von den Auswirkungen von Pestiziden auf Bestäuber bis hin zur Glaubensbildung beim Menschen und Wissenschaftskommunikation. Ihre Freizeit verbringt sie damit, sich in spannenden Rabbit Holes zu verlieren, Kunst zu lernen und die Natur zu genießen.