Siegelement der Uni Freiburg in Form eines Kleeblatts

„Eigentlich ist es wie Detektivin zu sein“ – Elisabeth Piller im Portrait

„Ich habe mir lange Gedanken gemacht, ob mich Leute ernst nehmen,“ bekennt Dr. Elisabeth Piller, Historikerin im Verfahren von einer Juniorprofessur zu einer regulären Professur an der Universität Freiburg. „Und das hat sicher etwas damit zu tun, eine relativ junge Frau in diesem Umfeld zu sein.“ Nach einem Bachelor in den USA, einem Master in Heidelberg und der Promotion in Norwegen lehrt und forscht Piller seit Herbst 2020 am Historischen Seminar in Freiburg. Geschichte ist ihre große Leidenschaft, und sie verbringt einen Großteil – auch –  ihrer Freizeit mit der Lektüre von Archivalien: „Mein Beruf ist der interessanteste Beruf der Welt. Eigentlich ist es wie Detektivin zu sein,“ beschreibt Piller ihre Forschungen.  

Um eine reguläre Professur zu erhalten, schreibt Piller ein zweites Buch. Das ist momentan die Forschungsarbeit, die die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Das Thema des Buches wird die amerikanische Hunger- und Auslandshilfe im und nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Hierbei geht es um Lebensmittelhilfen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise im Marshallplan vorgesehen, und wie die USA durch diese Hilfe zur globalen Supermacht aufstiegen. Piller arbeitet in ihrer Forschung unter anderem die Rolle von Frauen als wichtige historische Akteurinnen heraus – denn interessant hier ist: „Gerade, wenn man sich mit Hunger und Lebensmittelversorgung auseinandersetzt, beschäftigt man sich größtenteils mit Frauen, da Frauen primär für die Essensversorgung im und nach dem Krieg verantwortlich waren.“ Viele von den Auslandshilfen, die Piller analysiert, wurden von auch Frauen organisiert, wie beispielsweise Wohltätigkeitsbasare, um Geld zu sammeln: „Auf diese Art und Weise, konnten Frauen, die sich historisch gesehen meist abseits der außenpolitischen Debatten wiederfanden, ganz bewusst in der Welt einbringen.“

Obwohl es schon im 19. Jahrhundert und Ersten Weltkrieg sehr viele humanitäre Organisationen gab, kämen Frauen oftmals in der Literatur nur um Rande vor, so die Historikerin. Piller betont, dass man in diesem Bereich der Lebensmittelversorgung den „absolut wichtigen Beitrag“ von Frauen anerkennen müsse. „Die Fragen, die wir uns stellen müssen, sind auch: Warum haben wir diese Frauen davor nicht gesehen? Welche Narrative führen dazu, dass wir Frauen aus dieser Geschichte (der humanitären Hilfe) herausgestrichen haben?“  Auch fügt sie hinzu, dass die Geschichtswissenschaft sich bisher fast ausschließlich mit größeren Hilfsorganisationen beschäftigt habe, die aber oft von Männern geführt wurden. Gleichzeitig konzentriere sich die Forschung auch weiterhin primär auf die ‚Geber*innen‘ humanitärer Hilfe, nicht so sehr auf die Empfänger*innen. „Empfänger*innen seien aber sehr oft Frauen, da sie für die Ernährungsplanung der Familie und die Versorgung der Kinder verantwortlich waren. Deshalb müssen wir uns viel eingehender mit der Rolle von Frauen beschäftigen.“ 

Ihre Forschungsarbeit ist für Piller essentiell. Zugleich ist für sie auch die Aufgabe, junge Historiker*innen zu unterrichten, ein wichtiger Bestandteil ihrer Tätigkeit an der Universität. Elisabeth Piller ist überzeugt: „Wenn man die historischen Grundlagen hat, betrachtet man die überlieferten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge kritischer, oftmals auch mit Konsequenzen für die eigene Gegenwart. Die Befähigung, diese kritische Haltung auf andere Bereiche anzuwenden, das sehe ich als eigentliches Hauptziel unserer Lehre.“ Das bedeutet: Die kritische Haltung, gelernt anhand eines konkreten Beispiels aus dem Geschichtsseminar, können Studierende in anderen Kontexten einsetzen. Aufgeklärte, selbstbestimmte Staatsbürger*innen auszubilden, das kann die Geschichtswissenschaft besonders gut, findet Piller.

Zu dieser kritischen und aufgeklärten Denkweise gehört sicherlich auch strukturelle Grundthemen in der Gesellschaft, beispielsweise Gender-Stereotypen und die Rolle der Frau, zu hinterfragen. Und das tut Piller auch, nicht zuletzt, wenn es um Frauen in der Wissenschaft geht und die Hürden, die sie überwinden müssen: „Starke strukturelle Unterschiede kommen besonders zum Tragen, wenn es darum geht, ob man Kinder hat oder haben möchte. Ich habe keine, und ich habe auch keine pflegebedürftigen Angehörigen, und das spielt eine große Rolle“ – denn dadurch hat Piller viel mehr Zeit für ihre Forschung. Obwohl Piller in ihrer Karriere viel Positives erlebt hat – „ich hatte eigentlich immer mit älteren Professoren zu tun, die mir, wie man im Englischen sagt, ‘die Tür aufgehalten haben, damit ich durchgehen konnte‘“ – will sie nicht über strukturelle Probleme hinwegsehen. Die Unsicherheit wissenschaftlicher Karrierewege mache eine Familienplanung und auch generell die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehr schwierig und träfe Wissenschaftlerinnen mit Kindern oder Kinderwunsch oft besonders hart. Auf die Frage, wie man dieser Unsicherheit entgegenwirken könnte, antwortet Piller, dass die Tenure Track Professuren genau dies ermöglichen sollen – und, dass man aus diesem Grund deutlich mehr davon bräuchte. Denn wenn man für einen Zeitraum von sechs Jahren relativ klar definierte Anforderungen erfolgreich erfüllt, kann die Juniorprofessur in eine feste Professur überführt werden. Gerade unter diesen verlässlicheren Rahmenbedingungen, findet Piller, sei die Wissenschaft ein absoluter Traumberuf.

Portrait von Elisa Rijntjes

Elisa studiert Liberal Arts and Sciences am University College Freiburg. Als Halbgriechin und Halbniederländerin ist sie dreisprachig aufgewachsen, und begeistert sich für alles was mit Sprachen, Geschichte, und Kultur zu tun hat. In Ihrem Hauptfach Culture and History beschäftigt sie sich mit genau diesen Fächern, mit Schwerpunkt auf Journalismus. Außerhalb der Uni tanzt sie Ballett und spielt Klavier.