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Anna Fischer

„Frauen sind viel selbstkritischer als Männer und ohne explizite Aufforderung hätte sich die ein oder andere ausgezeichnete Wissenschaftlerin nicht beworben – trotz perfekter Qualifikationen.“

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Martin Böckler studiert Politikwissenschaften und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Neben den Geisteswissenschaften faszinieren ihn Musik, Schach, Grappling und der VelociPastor. Seit dem Einatmen rauchender Salzsäure im Chemie-Leistungskurs wurde zwar der Wunsch, im Labor zu stehen, immer kleiner, doch die Begeisterung für die Welt der Teilchen ist geblieben.


Über die großen und kleinen Katalysatoren in der Chemie

Ein düsterer Tag, vor mir erstreckt sich ein gewaltiger Betonklotz in alle Richtungen. Die Spitzen des grauen Gebäudekomplexes verschmelzen mit dem wolkenverhangenen Himmel. Im Inneren: lange Flure, Neon(irr)lichter. Geradezu rettend erscheint das Büro. Drinnen hängt ein Whiteboard voller Reaktionsgleichungen, Pfeile kreuz und quer, keine Ecke bleibt vom Edding unberührt. Das Büro gehört Anna Fischer, Professorin für Chemie und im Speziellen für Anorganische Funktionsmaterialien und Nanomaterialien und Co-Sprecherin des Cluster of Excellence livMatS (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems). Zur Chemie, und besonders den Nanomaterialien kam sie durch eine grundlegende Faszination für alles, was Naturwissenschaft mit Technik verbindet. Waren es anfangs vor allem der Weltraum („Oma, irgendwann fliege ich mit dir zum Mond“) erwuchs daraus später das Interesse an Physik und Chemie und die Erkenntnis, dass „wir alle nur ein wohlorchestrierter Haufen von Atomen sind“. Wie in Christopher Nolans Blockbuster „Interstellar“, ihrem Lieblingsfilm, geht es ihr ums Entdecken des Unbekannten und ums Verstehen. Den Ausschlag für Nanomaterialien gab aber ein Professor, der in der letzten Vorlesung des Semesters mit plötzlich „leuchtenden Augen über seine eigene Forschung sprach“, die Synthese von hoch porösen (also durchlässigen und winzigen) Nanomaterialien mit gigantischen Oberflächen. So kommt es, dass es heute Anna Fischer ist, die mit leuchtenden Augen von ihrer Forschung berichtet.

Die Schaffung hoher Oberflächen in porösen oder nanoskaligen Materialien: was bringt das? Dafür holt Anna Fischer gerne weiter aus. Viele chemische Reaktionen sind langsam, weil bei der Reaktion eine so genannte Aktivierungsenergie überwunden werden muss. Diese kann durch einen heterogenen Katalysator – also etwa ein Material in einem anderen Zustand (fest, flüssig, gasförmig) – verringert werden, wodurch die Reaktion mit weniger Aufwand und vor allem schneller abläuft. Heterogene Katalysatoren funktionieren am besten, wenn sie möglichst viel Oberfläche auf möglichst wenig Raum bieten, weil so mehr Stoffteilchen auf einmal in Kontakt mit dem Katalysator und seiner Oberfläche kommen. Genau diesen Vorteil bieten bestimmte anorganische Stoffe im Nanobereich. Klingt für Laien sicher erstmal sehr abstrakt, hat aber großen praktischen Nutzen.

Immer wenn es um „grünen Wasserstoff“ als CO2-freien Energieträger der Energiewende geht beispielsweise. Auch wenn Wasserstoff farblos ist, so hat er je nach Herstellungsverfahren doch viele Farben. „Grüner Wasserstoff“ wird ausgehend aus Wasser und erneuerbaren Energien mittels dem Elektrolyseverfahren hergestellt und kann als Energieträger somit wesentlich dazu beitragen, unsere Gesellschaft von fossilen Brennstoffen wegzubewegen. Bei der heutigen Produktion von grünem Wasserstoff geht leider viel Energie verloren, die durch bessere Katalysatoren in höherem Maße eingespart werden könnte. Sie ist außerdem weitaus teurer als andere Verfahren die auf fossilen Rohstoffen beruhen, sodass sie noch keine wirtschaftliche Alternative ist. Ein Grund hierfür: an Kathode und Anode der Elektrolyseure (zumindest im Falle er PEM-Technologie) werden Platin- respektive Iridium-basierte Katalysatoren eingesetzt werden.

Da kommen Nanooberflächen ins Spiel. Durch ihre raue Struktur vergrößern sie die Oberfläche des Katalysators und verbessern die Ausnutzung der teuren Edelmetalle. Bessere Nanostrukturen herzustellen – das ist das Ziel von Frau Fischers Arbeit. „Man kennt das ‚What-for‘, das motiviert einen“, erläutert die Chemikerin, „dazu beitragen, die Klimakrise technologisch zu lösen – auch durch verbesserte Ressourceneffizienz – das ist das Ziel.“ Auch zu langfristigen Strategien macht sich Anna Fischer Gedanken: „Wir brauchen eine Kreislaufwirtschaft“, also eine Wirtschaftsform, in der Rohstoffe, welche zu einem Produkt verarbeitet wurden – zum Beispiel in Form einer Batterie – nach dem Gebrauch nicht mehr entsorgt, sondern recycelt und auf umweltfreundliche Art wiederverwertet werden.

Die Möglichkeit den nachhaltigen Wandel derart zu gestalten, dass trägt nach Ansicht der Professorin auch einen Teil dazu bei, dass sich in den jüngeren Generationen vermehrt Frauen für eine naturwissenschaftlich-technische Karriere entscheiden. Noch ist in der Chemie mit einem Anteil von 22% Prozent (Stand 2021) an weiblich besetzten Professuren viel Luft nach oben. Doch auch dank Vorbildern wie Anna Fischer, tut sich da in den letzten Jahren einiges. Neben vermehrtem Interesse am Studienfach, durch das mehr Studentinnen, Doktorandinnen und Postdocs im Fach aktiv sind, ist auch ein veränderter gesellschaftlicher Diskurs ein wichtiger Katalysator. Gender-Maßnahmen haben dazu geführt, dass mögliche oft nicht erkannte „unbewusste Voreingenommenheit bei der Stellenvergabe“ reflektiert wurden und qualifizierte Wissenschaftlerinnen aktiv (im Sinne einer proaktiven Kandidat*innensuche) auf Lehrstuhlausschreibungen angesprochen werden. „Frauen sind viel selbstkritischer als Männer und ohne explizite Aufforderung hätte sich die ein oder andere ausgezeichnete Wissenschaftlerin nicht beworben – trotz perfekter Qualifikationen“. Ein Phänomen, das Fischer bei männlichen Bewerbern kaum beobachtet.

Eine besonders positive Entwicklung der letzten Jahre: mehr Berücksichtigung der Elternzeit. Zu Beginn von Fischers akademischer Laufbahn gab es für eine Forschungsgruppe keine Möglichkeiten, den durch eine Schwangerschaft bedingten Ausfall der Laborarbeit ersetzt zu bekommen. Dadurch fehlte der Forschungsgruppe plötzlich eine wichtige Person; für neue Gruppenleiter*innen ohne eigenen Lehrstuhl oft ein Desaster. Ein nicht kompensierter Ausfall, vor allem zu Beginn der Forschungskarriere von Gruppenleiter*innen, stellte somit ein enormes Risiko dar. Dennoch, Fischer hat sich gleich zu Beginn ihrer Karriere mit einer rein weiblichen Forschungsgruppe durchgekämpft, trotz aller institutioneller Hürden. Heute gibt es genau für solche Fälle Auffangmechanismen. Die Auffangmechanismen sind das Ergebnis eines langen Ringens um Gleichberechtigung in der Forschung, ein wichtiger Schritt auf einem Weg der noch nicht zu Ende ist. Auch andere Mechanismen des deutschen Forschungssystems hofft Anna Fischer durchlässiger und damit zukunftsfester zu machen, deshalb setzt sie sich stark für die Förderung junger Talente im Bereich der Chemie ein: egal ob für Laborassistent*innen oder internationale PostDocs.  Wer die Begeisterung für das Fach teilt, den entsprechenden Ehrgeiz und die Motivation mitbringt das Unbekannte zu entdecken, findet immer einen Platz in Anna Fischers Labor.