In der Mitte des Labors steht eine komplexe Apparatur, die an blinkende Computer angeschlossen ist. Aus ihnen ist in unregelmäßigen Abständen ein fremdartiges Knistern zu vernehmen. Die Töne bedeuten, dass die Neuronen der Labormäuse aktiv sind, weil sie einem speziellen Licht ausgesetzt sind. Für Außenstehende eine ungewöhnliche Erfahrung, für Neurowissenschaftlerin Dr. Julia Veit, Alltag. Als Gruppenleiterin eines Emmy-Noether- Projekts forscht sie in am physiologischen Institut der Universität Freiburg zum zentralen Nervensystem von Mäusen. Genauer gesagt, zu Interneuronen und deren Bedeutung für die Reizweiterleitung im Gehirn.
Dass sie sich heute mit solch komplexen Prozessen im Gehirn beschäftigt, ist dem Zufall geschuldet: „Ursprünglich habe ich Informatik studiert und bin nur durch Geldmangel an meine Diplomarbeit im Bereich biologische Kybernetik gekommen. Ich habe erfahren, dass ich am Max-Planck-Institut in Tübingen einen Hiwi-Vertrag bekommen würde, wenn ich die Diplomarbeit dort schreibe.“ Der Projektleiter, der später ihr Doktorvater werden sollte, stellte ihr im Vorstellungsgespräch nur eine Frage: Können Sie programmieren? Ihre Antwort: „Ja, kann ich.“ Als wissenschaftliche Hilfskraft wirkte sie an Studien zur Codierung von Gesichtern in Affengehirnen mit, wodurch sie Zugang zu einem „wahnsinnig wertvollen Datensatz“ erhielt. Fasziniert von der Tatsache, dass sie mit solch einzigartigen Informationen aus Tierhirnen arbeiten durfte, setzte sie ihre Forschung als Doktorandin an der Universität Fribourg in der Schweiz fort. Nach erfolgreicher Promotion kam ihr wieder der Zufall zu Hilfe. Sie erfährt von einer freien Postdoc-Stelle an der Universität Berkeley, wo sich Wissenschaftler_innen mit einer neuen und bahnbrechenden Forschungsmethode auseinandersetzen: der Optogenetik.
Bei der Optogenetik wird mittels Lichts die Aktivität von Nervenzellen äußerst präzise kontrolliert. Dazu beleuchtet Veit mit ihrem Team das Gehirn der Labormäuse mit Licht einer bestimmten Wellenlänge. Sobald das Licht eingeschaltet wird, reagieren ausgewählte Interneuronen-Gruppen blitzschnell, entweder durch Aktivierung oder Inhibition, also der Hemmung von Reizweiterleitung. Die Aktionspotenziale, die die Zellen zur Antwort auf visuelle Reize feuern, kann man am Computer hörbar machen. Anhand der daraus gewonnenen Ergebnisse kann sie sowohl Rückschlüsse zu den Funktionen von Interneuronen ziehen als auch untersuchen, wie verschiedene Unterkategorien die visuelle Reizverarbeitung im Gehirn beeinflussen.
Veits bisherige Karriereweg ist geprägt von vielen Herausforderungen, darunter ihre Schwangerschaften in den USA und Deutschland, ein nervenaufreibender Bandscheibenvorfall, die Corona-Pandemie und die schwierige Wohnungssuche in Freiburg. In ihrer jetzigen Funktion als Gruppenleiterin ist sie für ein ganzes Team sowie das Labor verantwortlich und muss sich „nebenbei noch mit der deutschen Bürokratie und deren Hürden herumschlagen.“ Die größte Herausforderung steht ihr allerdings noch bevor: die nächste Bewerbungsphase in zweieinhalb Jahren. Denn wie bei fast allen Wissenschaftler_innen ohne Lebenszeitprofessur ist auch ihre momentane Anstellung an der Universität befristet.
Ein Wechsel in die freie Wirtschaft wegen der unsicheren Bedingungen auf eine unbefristete Professur? Für Veit keine Option. Sie möchte im universitären Umfeld bleiben. Hier bietet sich ihr die Möglichkeit, Fragen und Problemen nachzugehen, die in ihrer Forschungsrichtung seit teilweise mehr als 30 Jahren ungelöst sind. An diesem Prozess möchte sie interessierte Studierende nicht nur teilhaben lassen, sondern auch explizit Studentinnen dazu ermutigen, selbst in die Forschung zu gehen. So erinnert sie sich an eine Bachelorabsolventin, die eigens für 3 Monate nach Freiburg gezogen war, um bei ihr im Labor ein Praktikum zu absolvieren. In dieser Zeit hat sich die Studentin schnell neues Wissen und nützliche Fähigkeiten wie Programmieren angeeignet, erzählt die Systemneurobiologin stolz. „Auch wenn die Fülle an Daten und komplizierten Berechnungen in der systematischen Neurowissenschaft zunächst abschreckend wirken, zeigt das Erlebnis doch, dass der Umgang damit kein Hexenwerk ist – und erst recht nicht vom Geschlecht abhängt.“
Portrait von Clara Larberg
Clara Larberg ist Masterstudentin im Fach Medien- und Kulturforschung. Im Verlaufe ihres Studiums hat sie gemerkt, dass ihr akademisches Schreiben nicht so wirklich liegt. Journalistisches und kreatives Schreiben dafür umso mehr. Mit Blick auf die Zukunft hat sie sich das Ziel gesetzt, eines Tages den Journalismus mit aufregenden Reisen in verschiedene Länder zu verbinden. Bis es so weit ist, widmet sich Clara anderen Leidenschaften. Sie experimentiert mit neuen Rezepten aus verschiedenen internationalen Küchen, reist low-budget in der Weltgeschichte herum und verbringt gesellige Abende mit Freund_innen (z.B. beim Tatort schauen)