Siegelement der Uni Freiburg in Form einer Blume

Student Joseph Oertel gewinnt Engagementpreis für seinen Einsatz bei Sea Watch

Freiburg, 15.11.2024

Joseph Oertel studiert Medizin an der Universität Freiburg und ist ehrenamtlich bei Sea Watch e.V. aktiv. 2025 zeichnet ihn die Studienstiftung des deutschen Volkes mit dem Engagementpreis aus. Im Interview spricht Oertel über seinen Einsatz für Geflüchtete, seine Tipps für andere Studierende, die sich engagieren möchten, und erzählt, was ihm Kraft gibt.

Ein kleines Flugzeug, dahinter steht Joseph Oertel und belädt es.
Joseph Oertel (links im Bild) ist neben seinem Medizinstudium bei Sea Watch aktiv. Foto: Sea Watch.

Seit wann engagierst du dich bei Sea Watch e.V.?

Bei Sea Watch bin ich seit ungefähr zwei Jahren aktiv. Davor habe ich im Kontext der Transitlager auf Lesbos und in Calais gearbeitet. Anfangs bin ich auf der Sea-Watch 3 eines der Beiboote gefahren, bin dann aber in das Airborne-Team gewechselt, nachdem unser Schiff in Italien festgesetzt wurde.

Was sind die Aufgaben des Airborne-Teams?

Ziel von Airborne ist die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und die Unterstützung von Menschen auf der Flucht aus der Luft. Dafür fliegen wir abwechselnd mit zwei Flugzeugen mit einer Besatzung von drei bis fünf Menschen in Einsätzen, die manchmal länger als acht Stunden dauern. Als ziviles Auge über dem Mittelmeer beobachten wir das, was die EU unserer Wahrnehmung nach zu verstecken versucht: Die aus unserer Sicht menschenrechtsverletzenden Praktiken von Frontex, libyschen Milizen und Europäischen Staaten, die zu Gewalt, Folter und Tod führen. Schon seit Jahren werden Versuche unternommen, uns zu kriminalisieren. Aus unserer Sicht steht dahinter das Ziel, dass die Gewalt und das Sterben im Mittelmeer nicht mehr beobachtet, darüber berichtet und auf dieser Basis angeklagt werden kann.

An manchen Tagen über dem Mittelmeer sehen wir mehrere hundert Menschen auf der Flucht in absolut seeuntauglichen Booten. Wenn wir Boote in Seenot finden, melden wir das an die Seenotrettungsleitungsstellen – die leider zu oft untätig bleiben – und an umliegende Schiffe. In solchen Momenten haben wir eine Verantwortung für die Menschen in Seenot. Aber leider können wir für manche von ihnen nach mehreren Stunden Einsatz nicht viel mehr tun, als ihr Ertrinken oder ihre gewaltsame Verschleppung nach Libyen zu dokumentieren.

Es muss belastend sein, täglich mit Menschenrechtsverstößen und Leid konfrontiert zu sein. Wie gehst du mit diesen Erfahrungen um?

Sea Watch bietet eine professionelle Supervision an. Zusätzlich werden alle, die regelmäßig fliegen, persönlich von Traumapsycholog*innen beraten. Neben dieser sehr hilfreichen Unterstützung ist für mich Freiburg ein guter Ort, um abzuschalten. Wenn ich von einem Einsatz zurückkomme, bin ich zuallererst im Schwarzwald. Ich fahre Fahrrad, gehe klettern und Gleitschirmfliegen oder schwimme eine Runde.

Bist du nur in den Semesterferien im Einsatz?

Nein, aktuell bin ich als Springer aktiv und war dieses Jahr fast jeden Monat auf Lampedusa. An der Stelle möchte ich mich herzlich bei den Studiengangskoordinatorinnen Sabine Binninger und Helena Kehl bedanken. Denn im Medizinstudium gibt es viele Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht. Während des Semesters so oft auf Lampedusa zu sein funktioniert nur, weil die beiden Koordinatorinnen und auch einige Seminarleiter*innen mir helfen, die Kurse wie in einem Puzzlesystem zu schieben und Lücken im Zeitplan zu schaffen. Auch meine Kommiliton*innen helfen mir immer wieder, Inhalte zu verstehen, und geben mir wichtige Infos aus den Veranstaltungen weiter. Ohne diese Unterstützung wäre mein Engagement parallel zum Studium so nicht möglich. Gleichzeitig profitiert mein Studium sogar ein bisschen von meinem Ehrenamt, denn über dem Mittelmeer lerne ich immer wieder, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und auch nach acht Stunden Stress noch gute Entscheidungen zu treffen.

Was würdest du anderen Studierenden raten, die sich auch ehrenamtlich engagieren möchten, aber nicht wissen, wie sie das neben dem Studium schaffen sollen oder wo sie ansetzen können?

Das mit dem Ansetzen ist ein guter Punkt. Es hilft, sich bewusstzumachen, dass es immer Menschen gibt, die sich gegen positive Veränderungen stellen. Sie profitieren selbst vom aktuellen System und wirken darauf hin, dass es wenig wirklich gute Ansatzpunkte gibt und viele Scheinlösungen. Wenn Menschen anfangen, sich zu engagieren, bekommen sie schnell den Eindruck, dass manches, was sie machen, gar nichts bringt. Aber genau an diesem Punkt ist es wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern nächstes Mal klüger zu sein und sich wieder auf die Suche nach einem neuen Ansatzpunkt zu machen – und das am besten nicht allein, sondern mit Gleichgesinnten. Außerdem ist natürlich eine gute Balance zwischen Studium, Privatleben und Aktivismus wichtig.

Blick auf ein Flugzeug-Cockpit. Vorne rechts sitzt Joseph Oertel, der durch ein Fernglas schaut.
Bei Sea Watch ist Oertel (rechts im Bild) Teil des Airborne-Teams und beobachtet das Mittelmeer aus der Luft. Foto: Vic Haster / Sea Watch
Porträt Joseph Oertel.

„Wenn man den Eindruck hat, dass das eigene Engagement teilweise gar nichts bringt, ist es wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern nach einem neuen Ansatzpunkt zu suchen.“

Joseph Oertel

Medizinstudent an der Universität Freiburg

Ziehst du Kraft aus den Momenten, in denen durch dein Engagement Menschen auf der Flucht gerettet werden?

Natürlich freue ich mich, wenn Menschen vorerst vor dem Ertrinken sicher sind. Aber ich spüre in dem Moment auch eine große Schwere. Die Leute, die auf Lampedusa ankommen, sind nach drei oder mehr Tagen auf See oft dehydriert und unterkühlt, manchmal sind tote Körper an Bord. Man merkt den Geflüchteten eine große Müdigkeit an und weiß, dass noch so viel auf sie zukommt. Zuerst durchlaufen sie den mühsamen Asylprozess, und selbst, wenn sie einen positiven Asylbescheid haben, sind sie in Europa unglaublich viel Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt.

Kraft gibt mir, das Engagement anderer Menschen zu sehen, wie im Forum Solidale auf Lampedusa. Das sind Leute, die sich schon seit 20, 30 Jahren für Geflüchtete einsetzen, ohne großen Rummel oder Spektakel, einfach aus Zivilcourage und Solidarität.

Die Arbeit von Sea Watch wird häufig extrem polarisiert wahrgenommen. Einige kritisieren uns, andere sehen uns als Held*innen. Beides verfälscht jedoch den eigentlichen Kern unseres Engagements, denn eigentlich sollte es ganz normal sein, sich mit Menschen solidarisch zu zeigen, die Hilfe suchen.

Engagementpreise der Studienstiftung des deutschen Volkes

Die Studienstiftung vergibt 2025 zum zwölften Mal ihre Engagementpreise für besonderes ehrenamtliches Engagement von Geförderten. Jospeh Oertel erhält den mit 5.000 Euro dotierten Hauptpreis, daneben prämiert die Jury fünf weitere Stipendiat*innen als Finalist*innen. Getragen werden die Preisgelder vom Verein Alumni der Studienstiftung e. V. Die Engagementpreise 2025 werden am 19. Mai 2025 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin verliehen.

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