Siegelement der Uni Freiburg in Form eines Schildes

USA unter Trump: „Wir haben es hier mit einer beginnenden Diktatur zu tun“

Freiburg, 20.10.2025

Als Amerikanistin analysiert Prof. Dr. Sieglinde Lemke aktuelle kulturelle und politische Entwicklungen in den USA mit einem besonderen Fokus auf Queer-Studies. Im Interview spricht sie über Donald Trumps Politik gegen die LGBTQIA+-Community und erklärt, wie diese mit einer wachsenden autoritären Entwicklung in den USA zusammenhängt.

Ältere Frau mit Brille und kurzem, lockigem Haar steht lächelnd vor einer Holztür. Sie trägt eine beigefarbene Bluse und ein braunes Sakko. Hinter ihr hängt ein Poster im Stil der US-amerikanischen Flagge mit dem Schriftzug „THINK AGAIN“ und „AMERICA! AMERICA!“. Darunter ist eine schwarze Stadtsilhouette zu sehen.
Prof. Dr. Sieglinde Lemke. Foto: Klaus Polkowski / Universität Freiburg

Frau Lemke, queere Menschen in den USA fühlen sich zunehmend bedroht. Besonders gegen trans* Menschen wird gehetzt: Donald Trump Junior spricht von einer „radikalen Transgender-Bewegung“, die „pro Kopf die gewalttätigste Bewegung der Welt“ sei. Warum sind trans* Personen in den USA zu so einem Feindbild geworden?

Viele Trump-Wähler*innen sind sehr konservativ und religiös. Dass eine Gruppe es wagt, ihren Körper entsprechend ihrer Geschlechteridentität zu verändern, erscheint ihnen außerordentlich extrem oder sogar pervertiert. Außerdem wurde bewusst Wut gegen trans* Personen geschürt. Das ist Wählerfang durch polarisierende und menschenfeindliche Rhetorik. Und es ist ein Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Problemen, wie die ökonomische Polarisierung und die durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten

Allein dieses Jahr wurden in den USA knapp 1.000 Anti-trans*-Gesetzesentwürfe eingebracht. Woher kommt der politische Fokus auf diese kleine Gruppe?

Das ist der erste Schritt in einer größeren Entwicklung, die noch vor uns liegt. An trans* Personen wird ein Exempel statuiert, bevor weitere Gruppen ebenso diffamiert werden. Neben der Anti-trans*- gibt es die Anti-DEI-Bewegung: Programme für mehr Diversität, Chancengleichheit und Inklusion werden diskreditiert und nicht mehr gefördert. Woke ist das Schimpfwort schlechthin geworden. Ein weiterer Schritt ist die Abwertung von Wissenschaftler*innen, Stichwort Klimawandel. Es greift immer derselbe Mechanismus: Us versus them – wir gegen sie – Freund versus Feind.

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„An trans* Personen wird ein Exempel statuiert, bevor weitere Gruppen ebenso diffamiert werden. Es greift immer derselbe Mechanismus: Us versus them – wir gegen sie – Freund versus Feind.“

Prof. Dr. Sieglinde Lemke

Professorin für nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft am Englischen Seminar, Universität Freiburg

Neben Abwertung und Dämonisierung: Was hat sich seit dem Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit konkret für queere Menschen verändert?   

Da gibt es eine ganze Liste: In staatlichen Einrichtungen wurden transinklusive Räume verboten, zum Beispiel dürfen trans* Frauen dort keine Frauentoiletten mehr nutzen. In einigen Bundesstaaten dürfen Bücher mit queeren Figuren nicht mehr in Schulen unterrichtet werden. Trans* Personen sollen vom Militärdienst ausgeschlossen werden. Gelder für geschlechtsangleichende Behandlungen und LGBTIQIA+-Hotlines werden gestrichen. Transmedizin ist nur noch in 18 Bundesstaaten erlaubt. In staatlichen Behörden wird nicht mehr von Geschlechtsangleichung, sondern von Verstümmelung gesprochen.

Inwiefern stehen diese Veränderungen für eine größere kulturelle und politische Entwicklung in den USA?

Das Wort trans steht ja schon buchstäblich für Transformation. Der Hass auf die trans* Community ist Teil einer allgemeinen Ablehnung von Wandel. Bevölkerungsteile, besonders die religiös orientierten Wähler*innen von Trump, halten immer noch an einer Gesellschaftsordnung fest, die aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammt. Da wird dafür gekämpft, das Rad wieder zurückzudrehen.

Ein großer Teil der Bevölkerung will also eigentlich zurück in die 50er Jahre?

Genau. In den letzten 25 Jahren ist die kulturelle und politische Elite bunter geworden. 2014 war die afroamerikanische trans* Frau Laverne Cox auf dem Cover des „Time Magazine“. Dieser Moment wird als Transgender Tipping Point bezeichnet: Ein gesellschaftlicher Wendepunkt, an dem trans* Menschen erstmals breite Sichtbarkeit und gesellschaftliche Anerkennung erfuhren. Spätestens ab da war klar, dass queere Menschen und People of Color nun auch Teil der Elite sind und dass sie in Medien, im Stadtbild, in teuren Restaurants zu den coolen Leuten gehören. Vielen Menschen ging das zu weit, sie fühlten sich dadurch zurückgesetzt. In der Soziologie spricht man in diesem Zusammenhang von Status Anxiety, also der Angst vor Statusverlust.

Zwei Frauen in einem Gespräch in einem Büro mit gelber Wand. Im Vordergrund ist unscharf der Rücken einer Frau mit langen braunen Haaren und ein geöffneter Laptop zu sehen. Gegenüber sitzt eine ältere Frau mit grauen Locken und Brille, die mit ausdrucksvollen Gesten spricht. Im Hintergrund stehen ein Blumenstrauß, Bücher und eine gelbe Hängelampe.

„Das Wort trans steht ja schon buchstäblich für Transformation. Der Hass auf die trans* Community ist Teil einer allgemeinen Ablehnung von Wandel.“

Prof. Dr. Sieglinde Lemke

Professorin für nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft am Englischen Seminar, Universität Freiburg

Donald Trump spricht also Menschen an, die Angst haben, nicht mehr zu den „cool kids“ zu gehören?

Ja, bei Statusbedrohung geht es nicht nur um ökonomische Faktoren, sondern auch um kulturelles Ansehen. Um die Angst davor, gesellschaftlichen Status zu verlieren.

Sie sind Kulturwissenschaftlerin. Inwiefern prägt das Ihre Analyse der Entwicklungen in den USA?

Kulturwissenschaft ist interdisziplinär. Das heißt, ich lese politologische, soziologische und ökonomische Forschung genauso wie die Gegenwartsliteratur. Ich schaue Filme, informiere mich über Popkultur und digitale Kultur. Außerdem arbeite ich intersektional, bin mir also bewusst, dass Menschen von mehreren Arten der Diskriminierung gleichzeitig betroffen sein können. Bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Trump ist das besonders relevant. Zudem beziehe ich theoretische Perspektiven in meine Analyse mit ein, zum Beispiel Gender-Theorien.

Wichtig ist außerdem eine historische Einbettung. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Queerness in den USA als Bedrohung für die Moral und nationale Sicherheit dargestellt. Im Rahmen der staatlichen Kampagne Lavender Scare wurden Homosexuelle damals denunziert, massenhaft entlassen und teilweise verhaftet. Was jetzt mit trans* Menschen passiert, ist eine Weiterführung dieser Tradition.

Glauben Sie, dass ähnlich wie beim Lavender Scare bald Kündigungen und Verurteilungen für trans* Personen kommen werden?

Der nächste Schritt werden Berufsverbote sein, ja. Es fehlt nicht mehr viel, bis es ausreicht, als trans* Person als nicht vertrauenswürdig eingestuft zu werden.

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„Wir haben es hier mit einer beginnenden Diktatur zu tun. Diktatoren verfolgen ihre politischen Gegner*innen und suchen sich Minderheiten aus, die sie zum Sündenbock machen können.“

Prof. Dr. Sieglinde Lemke

Professorin für nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft am Englischen Seminar, Universität Freiburg

Was macht Sie in dieser Einschätzung so sicher?

Wir haben es hier mit einer beginnenden Diktatur zu tun. Diktatoren verfolgen ihre politischen Gegner*innen und suchen sich Minderheiten aus, die sie zum Sündenbock machen können. Das ist ein klassischer Mechanismus und da wird eben nicht nur diskriminiert, sondern manchmal auch inhaftiert oder gar in Lager gebracht, wie es bereits mit tausenden von Migrant*innen geschieht. Demonstrant*innen und Journalist*innen, die sich der Staatsmeinung widersetzen, werden rigoros abgeführt. Das Ausmaß und die Rigorosität der Staatsgewalt ist erschreckend.

Was sind Ihre Erwartungen für die weitere Entwicklung der Demokratie und der Rechte von Minderheiten unter Trump?

Da habe ich keine gute Prognose. Was mir besonders Sorge macht, ist der große Einfluss der rechten Technik-Elite auf die US-amerikanische Politik: Elon Musk, Peter Thiel, Marc Andreessen, Curtis Yarvin. In diesen Kreisen herrschen durchweg antidemokratische Überzeugungen. Beispielsweise werden Ideen von privaten Städten, die von Unternehmen regiert werden – sogenannte Freedom Cities – propagiert. Darin kann dann die Welt noch einmal neu nach den Vorstellungen dieser reichen, weißen Männer geordnet werden: patriarchal und autoritär.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit die Polarisierung in den USA abnimmt und Minderheiten sich wieder sicherer fühlen können?

Es bräuchte eine umfassende Re-Education, also Umerziehung, um die Bevölkerung zu demokratisieren – ähnlich wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch ökonomisch müsste sich einiges verändern. Ich glaube, dass hinter der Polarisierung und dem rechten Populismus eine zum Teil sogar gerechtfertigte Wut gegen das Establishment steckt. Dies hat sich Präsident Trump zunutze gemacht, um Amerika nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Dadurch wird letztendlich von der ökonomischen Spaltung zwischen Arm und Reich sowie dem politischen Lobbyismus abgelenkt. Minderheiten und auch weite Teile der amerikanischen Bevölkerung werden bis auf weiteres prekär leben. Aber langfristig wird es eine Änderung geben.

Sehen Sie dafür eine Chance?

Ich rechne in den nächsten fünf Jahren mit bürgerkriegsähnlichen Konflikten, vermutlich regional begrenzt. Der Angriff auf das Kapitol 2021 war vielleicht nur ein Vorbote. Oft wurden gesellschaftliche Ungerechtigkeiten erst nach einem Krieg neu sortiert. Ich kann trotzdem nur dafür plädieren, eine gewisse Zuversicht zu bewahren. Ohne Zuversicht gibt es keinen Halt mehr vor faschistischen Verhältnissen.

Zur Person

Prof. Dr. Sieglinde Lemke ist Professorin am Englischen Seminar der Universität Freiburg. Ihr Fachbereich ist nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft. Sie studierte Englisch und Geschichte an der Universität Konstanz und an der University of California, Berkeley. Anschließend arbeitete sie als Dozentin an der Freien Universität Berlin und an der Harvard University, bevor sie 2005 als Professorin nach Freiburg berufen wurde. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem Gender- und Queer Studies, Modernismus, Filmgeschichte, Klassismus, sowie die amerikanische Gegenwartskultur. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Inequality, Poverty, and Precarity in Contemporary American Culture“. Darin untersucht sie den US-amerikanischen Diskurs über Ungleichheit, Armut und Prekarität in Politik, Medien und Kunst.

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