Freiburg, 22.11.2024
Der Freiburger Philosoph Zlatko Valentic macht aufwändige Filme – „Das Philosophische Experiment“ heißt sein Projekt
Schon als Student hatte Zlatko Valentic die Idee zu dem Projekt „Das Philosophische Experiment“. Er spricht dafür mit Expert*innen, aber auch mit Menschen auf dem Marktplatz über ein philosophisches Thema, daraus entstehen gemeinsam mit dem Freiburger Filmemacher Alexander Schröder professionelle Filme, die auf YouTube zu sehen sind. Valentic ist in Jugoslawien (im heutigen Bosnien) geboren und im Zuge des Jugoslawienkrieges 1992 nach Österreich geflüchtet. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Centre for Security and Society“ der Universität Freiburg und Dozent für Politikwissenschaft und Philosophie. Seine Forschungsthemen sind die philosophische Hermeneutik und die politische Philosophie.
Herr Valentic, was ist das Besondere an Ihrem Projekt „Das Philosophische Experiment“?
Zlatko Valentic: Die Ursprungsidee ist der Versuch, den alten philosophisch-sokratischen Move, wenn ich das so nennen darf, auf unsere heutige Zeit zu übertragen: Sokrates ist ja immer wieder auf den Marktplatz gegangen und hat seine Mitmenschen mit philosophischen Fragen zum Beispiel nach Gerechtigkeit oder Freiheit genervt… Diese Grundhaltung, dass Philosophie nicht nur zwischen „Profis“ stattfindet, sondern im Wesentlichen im Gespräch mit der Öffentlichkeit ihre gesellschaftliche Relevanz zeigt, wollten wir in eine heutige mediale Weise übersetzen.
Sie haben den Marktplatz durch das Internet ersetzt…
Ja, die Öffentlichkeit hat sich natürlich gewandelt – viele Diskussionen finden heute nicht mehr wie in der Antike auf den Plätzen statt, sondern im Internet, in den Medien. In Deutschland hatten wir lange ein schwieriges Verhältnis zwischen Philosophie und Medien; mir war es immer ein Anliegen, beides sinnvoll zusammenzubringen. Wir haben daher ein philosophisches Format entwickelt, bei dem wir zuerst eine Art wissenschaftliche Diskussion mit einem Gast zu einem bestimmten Thema führen. Dann gehen wir im zweiten Teil tatsächlich auf einen Marktplatz und schauen, was die Leute dazu sagen – das sind dann Fragen wie: Was ist für Sie ein gelungenes Leben? Oder: Haben wir die Kontrolle über die Technik verloren? Oder: Was heißt verstehen? Danach konfrontieren wir unsere Gäste mit den Antworten vom Markt und schauen, ob sich das, was die Leute sagen, mit den philosophischen Theorien verbinden lässt. Das ist oft sehr aufschlussreich… Und aus alldem wird am Ende ein Film von etwa 30 bis 45 Minuten Länge, der auf YouTube zu sehen ist.
Wie kommen Sie mit den Menschen für die Filme ins Gespräch?
Die Frage haben wir uns anfangs auch gestellt: Wird es nicht sehr schwierig, Leute auf dem Marktplatz zu finden, die sich ein Mikrofon anstecken lassen und sich trauen, vor einer Kamera spontan etwas zu philosophischen Themen zu sagen? Aber ich habe in den letzten Jahren wirklich durchgehend die Erfahrung gemacht, dass es gar nicht schwer ist, mit den Leuten über Philosophie zu reden. Es gibt immer genug Menschen, die eine Meinung dazu haben; sobald man diesen Sprung wagt, kommen sehr gute Gespräche zustande. Letztlich ist es das Einfachste an unserer ganzen Sendung…
Wie sind Sie vor zwölf Jahren als Student auf so eine Idee gekommen?
Die Grundidee hatte ich zusammen mit einem Kollegen schon in meiner Studienzeit in Salzburg. Wir wollten einfach ein Medium finden, dass zwischen Philosophie und Öffentlichkeit vermittelt. Da sind wir erst mal aufs Radio gekommen. Als ich dann nach Freiburg kam, habe ich beim freien „Radio Dreyeckland“ eine Plattform gefunden, wo ich so etwas weiter ausprobieren konnte. 2012 bin ich dann ins Medienzentrum der Universitätsbibliothek Freiburg gegangen und habe ganz naiv gefragt, ob man so etwas nicht auch filmen könnte. Und da habe ich tatsächlich ein paar Verrückte gefunden, die darauf Lust hatten. Der Filmemacher Alexander Schröder, Mitarbeiter im Medienzentrum und heute Dozent für die Medienkulturwissenschaft, war von Anfang an dabei. Wir beide haben zusammen das Konzept entwickelt und sind immer noch das Kernteam des Projekts.
Welche Themen und Personen stehen im Zentrum der Filme?
Im Grunde sind das die Themen, die mir gerade interessant erscheinen. Die bespreche ich dann mit Alexander Schröder und wir schauen, ob das passt. Unser nächstes Thema ist die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft aus philosophisch-ethischer Sicht. Hintergrund sind natürlich Putins Krieg und der aktuelle Oppenheimer-Film, aber auch die Diskussionen um Atomenergie. Ich glaube, das Besondere an unseren Sendungen ist, dass sie in gewisser Weise nicht altern, denn philosophische Themen verlieren nicht so schnell an Gültigkeit. Man sieht natürlich, dass wir uns technisch und auch formal weiterentwickelt haben – aber zum Beispiel unsere Sendung über Günther Anders und das Thema Technik kann man sich immer noch gut anschauen, sie ist vielleicht heute sogar noch spannender als vor zehn Jahren. Und die Personen sind dann natürlich vom Thema abhängig, ich schaue aber auch, wie jemand vor der Kamera agiert. Als wir zum Beispiel mit Hartmut Rosa über Beschleunigung und Resonanz gesprochen haben, wusste ich schon vorher, dass das funktioniert. Ähnlich war es bei Elif Özmen, eine tolle politische Philosophin, oder Dieter Thomä oder Susan Neiman…
Welche Reaktionen haben Sie bisher auf Ihre Filme bekommen?
Unsere Sendungen sind nicht so gebaut, dass wir mit irgendwelchen Affekten mehr Klicks erreichen wollen. Unser Stil widmet sich dem Thema; mein Ziel ist, dass man das philosophische Thema beim Anschauen versteht. Dafür ist die Resonanz sehr gut, finde ich, manche Sendungen haben 50.000 Klicks, insgesamt sind es inzwischen etwa 250.000. Dann arbeiten wir mit Verlagen zusammen, die die Filme auch auf ihren Websites oder in ihre Mediatheken laden, wenn es um ihre Bücher geht. Die Sendungen werden auf jeden Fall gut wahrgenommen, auch wenn es inzwischen einige Konkurrenzprojekte gibt.
Wie geht es weiter, was wollen Sie mit dem Projekt noch erreichen?
Wenn ich idealistisch antworte: Wir wollen weiter den Leuten die Philosophie näher bringen – auf einem Niveau, das das Thema verdient. Philosophie ist nicht immer einfach, aber wir möchten es auch nicht extra kompliziert machen, sondern einen Weg finden, dass Menschen, die sich sonst nicht mit Philosophie beschäftigen, einen Zugang finden. Um das zu leisten, würden wir uns noch weitere Unterstützung wünschen, damit wir die ganze Arbeit nicht nur aus Idealismus machen und selbst draufzahlen… Deshalb schauen wir uns nach Partnern um, haben zum Beispiel auch schon Kontakte zu Fernsehsendern oder Produktionsfirmen. Es wäre toll, wenn sich Partner fänden und wir ein Fundament hätten, um weiter zu machen.