Freiburg, 17.09.2024
Eingescannte Handschriften von einer KI transkribieren lassen, non-verbale Signale von Paaren tracken oder literarische Texte statistisch erschließen: Das neue Digital Humanities Lab der Universität Freiburg bietet Geisteswissenschaftler*innen Infrastruktur und Raum zum Austausch über digitale Methoden. Über den Mehrwert digitaler Ansätze für geisteswissenschaftliche Forschung sprach Kathrin Egy mit dem Direktoriumssprecher des Digital Humanities Labs Prof. Dr. Achim Rabus, dem Leiter des Labs Daniel Alcón sowie mit Dora Kelemen, die im Bereich der Digital Humanities forscht.
Mit welchem Ziel wurde das Digital Humanities Lab eröffnet?
Achim Rabus: Drei Schlagwörter fassen zusammen, was die Arbeit des Labs leitet: Expertise, Austausch und Support. Die Mitarbeiter*innen des Labs bringen jahrelange Erfahrung mit digitalen Methoden mit. Sie kennen sich mit verschiedensten Tools aus, haben einen Überblick über die Forschungslandschaft. In den letzten zehn Jahren ist der Bereich der Digital Humanities stark gewachsen, also die Anwendung digitaler Methoden und die Nutzung digitaler Ressourcen für die Bearbeitung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen. Entsprechend groß ist das Interesse an Austausch über die verschiedenen Möglichkeiten, die hierdurch entstehen. Aktuell haben wir am Lab jeden Tag einen Tag der offenen Tür. Kolleg*innen, die selbst im digitalen Bereich aktiv sind, kommen vorbei um sich über Methoden zu unterhalten, auch über die Disziplingrenzen hinweg.
„Aktuell haben wir am Lab jeden Tag einen Tag der offenen Tür.“
Und der Support-Aspekt?
Rabus: Nicht jede*r kann direkt Expert*in in Bezug auf digitale Methoden sein. Deshalb beraten wir Kolleg*innen, was konkret für ihre Forschung geeignet wäre. Mit welchen Daten könnten sie arbeiten, wie diese Daten verwalten? Welche Analyse-Optionen gibt es, und welche Visualisierung bietet sich an? Gerade bei Drittmittel-Anträgen sind solche Überlegungen wichtig.
Warum ist es in den Geisteswissenschaften überhaupt wichtig, digitale Methoden einzusetzen?
Rabus: KI-Systeme wie ChatGPT basieren auf Sprache und damit auf der ureigenen Kompetenz der Philologischen Fakultät. Während also in der Informatik der Fokus darauf liegt, wie man Large Language Models programmiert und trainiert, schauen wir darauf, was uns KI über Sprache verrät. Die neuen Methoden, die uns dadurch zur Verfügung stehen, vereinfachen und beschleunigen manche Aspekte unserer Forschung. Wenn ich zum Beispiel eingescannte Handschriften von einer KI transkribieren lasse, geht das deutlich schneller. Dann muss ich mich auch nicht jahre- oder jahrzehntelang mit solchen komplexen Schriften befasst haben, um sie entziffern zu können. Über diese Vereinfachung hinaus bieten KI-basierte Methoden aber auch ganz neue Zugänge zu Texten oder zu Sprache allgemein.
Welche Methoden nutzen Sie beispielsweise?
Dora Kelemen: Ich arbeite an einem Projekt, in dem ich mit statistischen Modellen literarische Texte erschließe. Dazu sortiere ich Texte nach bestimmten Kriterien in Gruppen. Das kann die literarische Epoche sein, die Region, in der der Text entstanden ist, oder das Geschlecht des*der Autors*Autorin. Diese Gruppen von Texten, diese Textkorpora, vergleiche ich dann mit Statistik: Welche Wörter kommen wie häufig vor? Wie sind die Sätze aufgebaut? Welche Wörter folgen oft aufeinander? Diese Vergleichswerte liefern Informationen dazu, wie in einer bestimmten Kultur oder Epoche geschrieben wurde, die aus einzelnen Texten so nicht hervorgehen.
„Literarische Texte erschließe ich mit statistischen Modellen.“
Daniel Alcón: Eine weitere Option, die wir jetzt im Digital Humanities Lab haben, ist das Tracken von Augen- und Körperbewegungen. Wir haben zum Beispiel Gespräche von Paaren aufgenommen und untersucht, welche Gesten sie bei welchen Sätzen machen, welche Blicke sie austauschen. Dadurch sehen wir, wie verbale und nonverbale Signale in Gesprächen zusammenspielen. Die Erkenntnisse aus dieser sogenannten Interaktionslinguistik können beispielsweise auch in der Psychotherapie wertvoll sein.
Bereits seit dem Wintersemester 2023/2024 können Studierende Kurse für das Zertifikat „Digital Humanities“ belegen. Was versteckt sich dahinter?
Kelemen: Dieses Zertifikat besteht aus drei Teilen. Zunächst vermitteln wir Grundlagen der Digital Humanities: Was verbirgt sich hinter dem Begriff, was kann man damit machen? Im zweiten Teil können die Studierenden eigene Schwerpunkte setzen und entscheiden, ob sie eher in Richtung Linguistik, Literaturwissenschaft, oder doch Medien- oder Kulturwissenschaft gehen wollen. Am Ende steht ein Projektmodul, in dessen Rahmen die Studierenden an einem eigenen größeren Projekt im Bereich der Digital Humanities arbeiten. Im Moment nehmen mehr als 30 Studierende am Zertifikatsprogramm teil.
Rabus: Aktuell können alle Studierenden der Philologischen Fakultät die Kurse des Zertifikats belegen. Einzelne Veranstaltungen stehen über das Angebot des Zentrums für Schlüsselqualifikationen auch anderen Fakultäten offen. Ich hatte beispielsweise in einem Kurs zu sprachlicher Variation und Sprachwandel in der Slavia Studierende aus den Forstwissenschaften zu Gast, die methodisch auch profitieren konnten. Momentan sind wir im Austausch mit der Philosophischen Fakultät, um mit den Kolleg*innen zusammen das Angebot auszuweiten und es für Studierende dieser Schwester-Fakultät zu öffnen.
„Ich halte es für zentral, dass wir jetzt einen Paradigmenwechsel vorantreiben und die Chancen der digitalen Methoden zunehmend nutzen.“
Wie geht es weiter im Bereich der Digital Humanities an der Universität Freiburg?
Alcón: Der Wert digitaler Methoden für unsere geisteswissenschaftliche Forschung ist gigantisch. Schon vor zehn Jahren haben wir von Big Data gesprochen, und seitdem wachsen die Datenmengen immer weiter. Ich halte es für zentral, dass wir jetzt einen Paradigmenwechsel in philologischer Lehre und Forschung vorantreiben und die Chancen der digitalen Methoden zunehmend nutzen. Dafür haben wir mit dem Digital Humanities Lab ein wertvolles offenes Forum eröffnet.