„Ohne Mut und Furchtlosigkeit geht Wissenschaft nicht mehr“
Freiburg, 08.07.2025
Von Literaturwissenschaften über Pädagogik, Politik und Rechtswissenschaften bis hin zu Ingenieurswissenschaften, vom Süden Deutschlands bis in den Nordosten der USA – die vierte Jahrestagung des Connecticut / Baden-Württemberg Human Rights Research Consortium (HRRC) zeigte, wie die interdisziplinäre Erforschung von Menschenrechten demokratische Gesellschaften stärkt. Aber auch wie aktuelle Entwicklungen in den USA die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit auch in Europa ins Blickfeld rücken.

„Zu sehen, wie engagiert und facettenreich Menschenrechtsforschung in diesen disruptiven Zeiten über Kontinente und Fachbereiche hinweg betrieben wird, hat mich bewegt. Denn es braucht internationale und interdisziplinäre Ansätze, um Menschenrechtsforschung mit Leben zu füllen. Die Ebene des Rechts ist wichtig, kann es aber alleine nicht leisten“, sagt Prof. Dr. Silja Vöneky. Die Professorin für Völkerrecht, Rechtsethik und Rechtsvergleichung an der Universität Freiburg und Co-Direktorin des Connecticut / Baden-Württemberg Human Rights Research Consortiums (HRRC) war eine der Organisator:innen der vierten HRRC-Jahrestagung am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS).
Rund 60 Wissenschaftler:innen von Einrichtungen aus den Partnerländern Connecticut und Baden-Württemberg sowie anderer Institutionen nahmen daran teil. Unter der Überschrift „Human Rights in the Balance: Safeguarding Social and Environmental Sustainability“ und koordiniert von Laura Tribess tauschte sich die deutsch-amerikanische Forschungsgemeinschaft in Vorträgen, Gesprächsforen und Ausstellungen über ihre Arbeit aus. Dr. Nicola Wenzel, Leiterin des Referats für Menschenrechte im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie Prof. Dr. Anja Seibert-Fohr, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, blickten in Abendvorträgen über die akademische Perspektive hinaus und gaben Einblicke in die Praxis des Menschenrechtsschutzes in der aktuellen Umwelt- und Klimadebatte.
Wie relevant die Konferenz aus wissenschafts- und forschungspolitischer Perspektive ist, wurde durch die Teilnahme der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sichtbar. Petra Olschowski betonte in ihrem Grußwort unter anderem die Bedeutung des deutsch-amerikanischen Austauschs in einer Zeit, in der die Wissenschaftsfreiheit weltweit unter Druck gerät.
Geschützter Raum für offene Diskussionen
Prof. Dr. Ralf von den Hoff, FRIAS-Direktor und Mitglied des HRRC-Direktoriums, beschreibt die Stimmung unter den Teilnehmer:innen als „einerseits angespannt, ja verzweifelt, weil die Bedrohung der Forschung in den USA drängend ist und davon so viele betroffen sind, andererseits hoch motiviert und erwartungsvoll, ja kämpferisch.“Letzteres habe auch daran gelegen, dass die Tagung allen Beteiligten „einen Raum freier wissenschaftlicher Debatten geboten hat, den man in den USA anfängt zu vermissen. Zu spüren, wie die Solidarität der Forschenden aus Deutschland und den USA wissenschaftlich produktiv wird, war beeindruckend.“
Von den Hoff verweist auf gehaltvolle Diskussionen über universale Menschenrechte und Werte in ihren westlichen Bedingtheiten. Ebenso wie auf Gespräche über Freiheit als Freiheit von Furcht und Angst – auch in der Forschung – und die Notwendigkeit akademischer Solidarität. „Freiheit und Menschenrechte werden auch und gerade durch Angst gefährdet. Denn Angst ist es, die neben konkreten Einschränkungen der Wissenschaft zu weiteren (Selbst-)Einschränkungen führt: Ohne Mut und Furchtlosigkeit geht Wissenschaft nicht mehr – das ist erschreckend neu!“, sagt von den Hoff.
GenAI & Me ist ein partizipatives Bildungs- und Outreach-Projekt zu kreativer und emanzipatorischer KI, das im Rahmen des Connecticut/Baden-Württemberg Human Rights Research Consortium (HRRC) gefördert wurde. Bei der vierten HRRC-Konferenz wurden in einer Ausstellung die Ergebnisse aus Workshops mit Jugendlichen präsentiert – darunter KI-gestützte Graphic Novels zu gesellschaftlichen und ethischen Fragen rund um Künstliche Intelligenz. Das Projekt ist Teil der Initiative Nexus Experiments.
Ihren Rahmen für offene und kontroverse Debatten nutzten die Teilnehmenden rege. Ambivalenzen traten etwa im Kontext von Menschenrechten und Technologie / Künstlicher Intelligenz (KI) auf. Ein Zusammenhang, den die Forscher:innen am Beispiel der interaktiven Ausstellung „GenAI and Me“ (siehe Video) erörterten – aber auch in Beiträgen zu gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen neuer Technologien im Zusammenhang mit Menschenrechten. So sprach Christina Binder, Bundeswehr Universität München, über Smart Cities, die zwar Lösungsansätze für den Klimawandel bieten, zugleich aber das Risiko umfassender Überwachung bergen. Klara Trappen, Universität Freiburg, thematisierte die Ambivalenz biotechnologischer Entwicklungen, mit denen sowohl lebensrettende Medikamente als auch potenzielle Biowaffen hergestellt werden können.
Shareen Hertel, Co-Direktorin des HRRC und Professorin für Politikwissenschaft an der University of Connecticut, war beeindruckt von der Kreativität der Teilnehmenden, die über ein Jahr hinweg länderübergreifend an ihren Präsentationen zusammenarbeiteten. Sie und Kolleg:innen, die zur emanzipatorischen Wirkung von Künstlicher Intelligenz (KI) für Kinder in marginalisierten Gemeinschaften forschen, trafen sich beispielsweise regelmäßig virtuell mit ihren am Projekt GenAI & Me beteiligten HRRC-Partner:innen. Gemeinsam realisierten sie praktische Workshops, in denen gefährdete Jugendliche lernten, auf sichere und bestärkende Weise mit KI umzugehen. „Für mich war die Konferenz der Höhepunkt monatelanger vorbereitender Arbeit – stundenlanges Ideenaustauschen online, und schließlich das persönliche Treffen zu einem so entscheidenden Zeitpunkt für uns als Wissenschaftlerinnen und politische Fürsprecher:innen. Es war unglaublich bereichernd, unsere Erfahrungen offen und ehrlich persönlich zu teilen – mit der Hoffnung, vor Ort wirklich etwas zu bewegen“, sagt Hertel.
Gleichzeitig formulierten die Wissenschaftler:innen Ansprüche an die eigene Disziplin. Sie verwiesen darauf, dass Menschrechte koloniale Denkweisen überwinden müssten. Auch sollte stärker beachtet werden, dass Menschenrechtsentwicklungen ihren Ursprung häufig im Globalen Süden (Lateinamerika) nehmen. Dass die anwesenden Menschenrechtsforscher:innen danach streben, unterschiedliche Perspektiven authentisch in ihre Arbeit einzubinden, wurde im Vortrag „Niemanden zurücklassen: Eine Analyse der Perspektiven von Menschen mit Behinderung in der Andenforschung“ deutlich. Sie schalteten einen Betroffenen aus Südamerika zu und gaben damit auch Menschen eine Stimme, die nicht anwesend sein konnten.

Obwohl die Absichten der amtierenden US-Regierung früh erkennbar waren, hat mich überrascht, mit welcher Wucht und Schnelligkeit sie diese umsetzt.
Sebastian Wogenstein
Co-Direktor des Human Rights Research Consortiums und Associate Professor für German Studies an der Universität Connecticut
Fragen in kollegialem Klima diskutieren
„Angesichts der jüngsten amerikanischen Entwicklungen dominierten zwischen den Vorträgen zwei Fragen: Welche Formen des ‚Widerstands‘ gegen Einschränkungen in der Wissenschaftsfreiheit gibt es? Was kann die wissenschaftliche Community diesbezüglich leisten?“, sagt Prof. Dr. Sebastian Wogenstein, Co-Direktor des HRRC und Associate Professor für German Studies am College of Liberal Arts and Sciences der Universität Connecticut. „Obwohl die Absichten der amtierenden US-Regierung früh erkennbar waren, hat mich überrascht, mit welcher Wucht und Schnelligkeit sie diese umsetzt.“ Die Sorge vor juristischen Konsequenzen sei unter amerikanischen HRRC-Mitgliedern spürbar, sagt von den Hoff: „Mehrere haben ihre Teilnahme an der Tagung zurückgezogen, weil sie fürchteten danach nicht wieder einreisen zu dürfen.“
Dass auch solche Themen ihren Platz fanden, spreche für das wertschätzende, in einigen Fällen sogar freundschaftliche Verhältnis, das die HRRC-Mitglieder zueinander haben, sagt Wogenstein: „Es geht uns nicht darum, wer die beste Präsentation hält. Wichtiger ist uns, Fragen stellen, Sachverhalte beleuchten und in einem kollegialen Klima diskutieren zu können.“
Text: Kristin Schwarz.

Was ist das HRRC?
Das Baden-Württemberg/Connecticut Human Rights Research Consortium (HRRC) ist ein transatlantisches Netzwerk von Menschenrechtsforscher:innen, das renommierte Institutionen in beiden Partnerregionen verbindet. Geleitet wird das HRRC von einer interdisziplinären Gruppe von Professor:innen der Universitäten Freiburg und Connecticut: Sebastian Wogenstein, Ralf von den Hoff, Shareen Hertel und Silja Vöneky (Foto v. l.). Die Koordination auf deutscher Seite übernimmt seit 2018 das FRIAS. Die Organisation der Konferenz an der Universität Freiburg wurde von Laura Tribess koordiniert.
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Impressionen













