Freiburg, 31.03.2025
Forschende des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg untersuchen grundlegende biologische Prozesse, die unter anderem für die gesunde Entwicklung des Immunsystems und der Organe entscheidend sind.
Unter dem Motto „Healthy beginnings, hopeful futures“ widmet sich der Weltgesundheitstag 2025 der Frage, wie sich die Gesundheit von Neugeborenen verbessern lässt. Ein gesunder Start ins Leben ist nicht selbstverständlich: Genetische Faktoren können bereits in der frühen Entwicklung zu schweren gesundheitlichen Herausforderungen führen.
Dr. Miriam Schmidts erforscht die molekularen Mechanismen seltener Erbkrankheiten, insbesondere Ciliopathien – genetische Erkrankungen, die die Funktion von Zilien beeinträchtigen und bereits früh in der Organentwicklung zu Fehlbildungen führen können.
Prof. Dr. Stephan Ehl untersucht monogenetische Erkrankungen des Immunsystems und befasst sich mit der Frage, wie genetische Veränderungen zentrale Signalwege beeinflussen und dadurch Immunreaktionen aus dem Gleichgewicht geraten.
Ihre Forschungen liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie diese seltenen Erkrankungen entstehen und zeigen neue Wege für gezielte Diagnose- und Therapieansätze auf.
Zilien sind haarähnliche Zellfortsätze, sie ragen antennenartig von der Oberfläche der meisten menschlichen Zellen nach außen und spielen beim Empfang und bei der Weiterleitung von Signalen eine Rolle – sowohl in das Zellinnere, beispielsweise in den Zellkern, als auch nach außen an benachbarte Zellen. Signale können zwischen direkt benachbarten Zellen sowie auch über längere Strecken durch das Gewebe oder den Blutstrom weitergegeben werden. Störungen der Zilienfunktion beeinträchtigen die Signalverarbeitung und können bereits während der Embryonalentwicklung zu einer Reihe von Fehlbildungen führen.
Damit sich aus der befruchteten Eizelle ein vollständiger Mensch entwickeln kann, muss jede Zelle zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung wissen, welche Aufgaben sie erfüllen und zu welchem Gewebe oder Organ sie später beitragen soll. Obwohl alle unsere Zellen die gleiche DNA enthalten, werden je nach Zelltyp unterschiedliche Gene abgelesen (exprimiert). Gehirnzellen und Leberzellen beispielsweise tragen identisches Erbgut, doch je nach Zelltyp werden unterschiedliche Gene aktiviert. Dies sorgt dafür, dass die Zellen jeweils spezifische Proteine in unterschiedlichen Mengen enthalten, passend zu ihrer jeweiligen Funktion. Diese durch Genexpression gesteuerte Zellidentität ist entscheidend für die Entwicklung und Funktion von Organen. Mein Labor konzentriert sich insbesondere auf den Hedgehog-Signalweg. Wird dieser durch eine gestörte Zilienfunktion beeinträchtigt, beeinflusst dies die Genexpression und die Zellidentität. In der Folge können die Zellen ihre eigentliche Funktion nicht erfüllen, was die Organentwicklung stört und zu Fehlbildungen wie etwa zu Polydaktylie, bei der Betroffene mehr als fünf Finger oder Zehen haben, oder zu verkürzten Röhrenknochen und Rippen im Sinne einer Skelettdysplasie führen kann. Auch zystische Fehlbildungen der Niere, Gaumenspalten und Fehlbildungen des zentralen Nervensystems sind mögliche Folgen. Unsere molekulargenetischen Untersuchungen zeigen, dass Sequenzveränderungen in Genen, die den Proteintransport in Zilien steuern, diese Fehlbildungen verursachen. Je nach betroffenem Protein variieren die Fehlbildungen in Art und Schwere.
Mit Nieren- und Knorpelmodellen untersuchen wir, wie genetische Veränderungen die zelluläre Differenzierung und Identität beeinflussen. Dies hilft zu erklären, weshalb einige Patient*innen schwere Organschäden entwickeln, während andere trotz ähnlicher Defekte bis ins hohe Alter stabil bleiben. Mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas und dem Baseneditierungsverfahren können wir individuelle genetische Veränderungen nachbilden und so den Krankheitsverlauf besser vorhersagen. Das ermöglicht betroffenen Familien eine bessere Prognose und gezieltere medizinische Planung. Wir hoffen zudem, dass sich durch ein verbessertes Verständnis der zugrundeliegenden Störungen der Signalprozesse künftig auch pharmakologische Therapien entwickeln lassen. Da Nieren- und Netzhauterkrankungen oft über viele Jahre fortschreiten, könnte bereits eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs für betroffene Familien eine große Erleichterung bedeuten. Nicht zuletzt hat auch die Gentherapie in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, insbesondere bei Netzhauterkrankungen. Wir hoffen, dass sich daraus in Zukunft auch für Ziliopathiepatient*innen neue Therapiekonzepte ableiten lassen.
Unser primäres Ziel ist es, zu verstehen, wie sich genetische Veränderungen in Patient*innenzellen auf die zelluläre Identität und Differenzierung von Nieren- und Knorpelzellen auswirken – und daraus gezielte Therapien zu entwickeln. Die bei unseren Patient*innen betroffenen Proteine verlieren meist nicht ihre komplette Funktion, sondern sind in ihrer Aktivität eingeschränkt. Während die Zusammensetzung der großen Proteinkomplexe, die beim ziliären Proteintransport essentiell sind, schon sehr lange bekannt sind, ist die Funktion einzelner Komponenten unklar geblieben. Da klassische Gen-Knockout-Methoden meist zum Verlust der Zilienstruktur führen, lassen sich diese Funktionen nur schwer untersuchen. Unsere Patient*innen zeigen Mutationen, die nicht zum vollständigen Verlust der Zilienstruktur führen. Dies ermöglicht uns, einzelne Zilien-Komponenten gezielt zu untersuchen. Unsere Analysen zu Transportprozessen und Signalweiterleitung liefern Erkenntnisse, die auch für andere Erkrankungen wie Arthrose oder Skelett- und Nierenerkrankungen von Bedeutung sein könnten.
Ein gesunder Start ins Leben erfordert neben einer intakten Organentwicklung auch ein funktionierendes Immunsystem. Während Dr. Miriam Schmidts genetische Entwicklungsstörungen erforscht, untersucht Prof. Dr. Stephan Ehl genetische Defekte im Immunsystem, die früh zu schweren Erkrankungen führen können.
Als Kinderarzt untersuche ich Kinder mit unzureichenden oder überschießenden Immunreaktionen als Ausgangspunkt meiner Forschung. Wenn eine genetische Untersuchung einen Fehler im Bauplan eines Signalproteins zeigt, prüfen wir, ob dieser das Signal verstärkt oder abschwächt. Wir analysieren, wie genetische Defekte die Signalübertragung in Immunzellen verändern. Zellmodelle helfen uns dabei, diese Mechanismen zu verstehen und die Wirkung von Medikamenten zu testen. Erkenntnisse einzelner Patient*innen mit seltenen genetischen Erkrankungen können dabei zur Entwicklung neuer Therapien führen und auch für verbreitetere Autoimmunerkrankungen bedeutend sein.
Ein gesundes Immunsystem erkennt Erreger und aktiviert Immunzellen zur Abwehr. Dabei müssen Immunzellen die Strukturen von Erregern von körpereigenen Strukturen unterscheiden können, was eine präzise „Erziehung“ erfordert. Genauso wichtig ist die Drosselung dieser Aktivierung. Negative Feedback-Mechanismen verhindern überschießende Immunreaktionen. Beides ist für ein ausbalanciertes Immunsystem essentiell: Ist die Aktivierung gestört, können schwere unkontrollierte Infektionen die Folge sein. Ist hingegen die Regulation der Immunaktivität gestört, kann dies bereits im frühen Kindesalter zu chronischen Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen führen.
Zytokine – immunologische Botenstoffe – sind die biologische Sprache, mit der Immunzellen Informationen austauschen. Binden diese Botenstoffe an spezifische Rezeptoren einer Immunzelle, werden Signale an den Zellkern gesandet, die das Zellverhalten optimal steuern. Dabei spielt der sogenannte JAK/STAT Signalweg eine besondere Rolle. Dieses zelluläre Kommunikationssystem nutzt bestimmte Enzyme (Janus-Kinasen, JAKs), um Signalproteine (STATs) zu aktivieren, die im Zellkern wichtige Gene für Immunreaktionen regulieren. Mehr als 30 Zytokine nutzen diesen Weg. Der JAK/STAT Signalweg wird durch das SOCS1 Molekül (Suppressor of Cytokine Signaling 1) reguliert, das überschießende Immunreaktionen verhindert. Unsere Forschung zeigt, dass ein genetischer SOCS1-Defekt zu einer ungebremsten Wirkung der Zytokinsignale und damit zu einer übermäßigen Aktivierung von Immunzellen führt. Wie wir in der aktuellen Studie zeigen, kann diese Dysregulation zu über 30 verschiedenen Autoimmunerkrankungen führen. Interessanterweise entwickeln nur etwa 60% der Betroffenen Symptome (60% davon sind Frauen), was auf zusätzliche Einflussfaktoren hinweist. Genau diese wollen wir nun weiter erforschen.
Ohne die immunologische Grundlagenforschung hätten wir kein Wissensnetzwerk, in das sich unsere Beobachtungen an Patient*innen mit seltenen Gendefekten und Erkrankungen sinnvoll einfügen ließen. Dieses Wissen erlaubt es uns, Hypothesen aufzustellen und an Patient*innenzellen experimentell zu testen. Gleichzeitig tragen wir durch unsere Beobachtungen an Patient*innen wiederum zur Grundlagenforschung bei. Die Mutationen in den Genen unserer Patient*innen betreffen zufällig unterschiedliche Bereiche eines Proteins. Genaue Untersuchungen der Folgen dieser Mutationen erlauben daher ganz neue Erkenntnisse über die Funktionen der betroffenen Proteine. Dank unserer Forschung zu SOCS1 konnten wir gezielt JAK-Inhibitoren zur Behandlung einsetzen, die überschießende Immunreaktionen eindämmen. Dies bietet Patient*innen mit SOCS1-Defekt, die früher fast alle hohe Dosen Cortison und andere Immunsuppressiva verabreicht bekamen, nach langer Leidenszeit neue Hoffnung.