Freiburg, 06.08.2024
Annette Joggerst ist neue Ansprechperson für Antidiskriminierung an der Universität Freiburg
Seit Mitte Februar 2024 arbeitet Annette Joggerst im neuen Projekt „protect – Schutz vor Diskriminierung und Machtmissbrauch“ an der Universität Freiburg und ist seit Juli auch offiziell bestellte Ansprechperson für Antidiskriminierung und Beraterin. Die Diplom-Sozialarbeiterin beschäftigt sich beruflich schon lange mit dem Thema, zuletzt arbeitete sie im Antidiskriminierungsbüro Freiburg.
Frau Joggerst, Sie sind seit Juli Ansprechperson für Antidiskriminierung an der Universität Freiburg. Wer kann sich an Sie wenden – und warum?
Annette Joggerst: An mich können sich alle Angehörigen der Universität Freiburg wenden, wenn sie denken, dass sie Diskriminierung oder Machtmissbrauch als Betroffene erlebt haben. Ich habe aber auch schon einem Kollegen eine Fachberatung dazu gegeben, was er bei der Leitung eines diversen Teams beachten könnte – er hatte die Befürchtung, sich vielleicht rassistisch zu verhalten. Ich biete außerdem an, in Teams zu gehen und diese etwa zu Diversität oder diskriminierungssensibler Sprache zu beraten.
Was sind ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Thema?
Ich habe 2002 in einem sozialen Brennpunkt in Waldkirch angefangen zu arbeiten – da gab es natürlich auch Diskriminierungen, sie wurden aber noch nicht so thematisiert wie heute, das verstärkte sich erst durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ab 2006. Richtig in Kontakt damit gekommen bin ich über ein Projekt zur interkulturellen Öffnung bei Pro Familia, dabei habe ich viel in Moscheen und Unterkünften für Geflüchtete gearbeitet und gemerkt: Diskriminierung ist immer ein Thema. Mich macht es wütend, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder anderer Diskriminierungsmerkmale in ihrem Alltag Anfeindungen, Belästigungen und Gewalt erleben und in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dadurch beschränkt sind. Ich habe deshalb 2017 eine qualifizierte Beratungsausbildung beim Antidiskriminierungsverband Deutschland (ADVD) gemacht und berate seither zu dem Thema.
Wie würden Sie Diskriminierung definieren?
Menschen erleben eine Benachteiligung, die verbunden ist mit einem bestimmten Merkmal. Das Gleichbehandlungsgesetz nennt sechs Merkmale: Alter, Behinderung Geschlecht, ethnische Herkunft, sexuelle Identität, Religion oder Weltanschauung. Menschen können aber auch wegen anderer Merkmale benachteiligt werden, etwa wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Gesundheitszustandes. Eine Diskriminierung kann bewusst oder unbewusst passieren und zu einem Ausschluss oder auch einer Würdeverletzung etwa durch Beschimpfungen führen. Eine Diskriminierung kann psychische Folgen für die Betroffenen haben, aber auch Nachteile im Alltag bedeuten, etwa im Studium oder am Arbeitsplatz. Oder wenn jemand eine Wohnung mieten will und sie aufgrund seines Nachnamens oder seiner Hautfarbe nicht bekommt.
„Mich macht es wütend, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder anderer Diskriminierungsmerkmale in ihrem Alltag Anfeindungen, Belästigungen und Gewalt erleben“
Was bedeutet die Struktur einer Universität für Ihre Arbeit?
Ich habe noch nie für eine so große Organisation gearbeitet, manche Strukturen muss ich erst noch kennenlernen… Ich habe aber bisher den Eindruck, dass hier viele Menschen hinter dem Thema stehen, auch in der Universitätsleitung. Es gibt schon viel Engagement für Diversity – je vielfältiger eine Organisation ist, desto mehr kann es aber auch zu Diskriminierungen kommen. Dann braucht es ein Konzept und Ansprechpersonen. Für meine eigene Rolle ist hilfreich, dass ich nicht weisungsgebunden bin und in meiner Beratung auch Vertraulichkeit anbieten kann. Ich denke, die Kunst wird sein, gangbare Wege zu finden und Menschen mitzunehmen – und gleichzeitig nicht aus den Augen zu verlieren, dass Diskriminierung und Machtmissbrauch ernste Themen sind, die bis in den arbeits- oder strafrechtlichen Bereich gehen können.
Gibt es spezifische Themen an einer Universität, wenn es um Diskriminierungen und Machtmissbrauch geht?
Im Wesentlichen sind die Diskriminierungsthemen an der Universität die gleichen wie in der Zivilgesellschaft…. Spezifisch für Universitäten sind ganz sicher die starken Abhängigkeitsverhältnisse insbesondere in Wissenschaftskarrieren, die ein erhöhtes Risiko von Machtmissbrauch mit sich bringen. Die Universität Freiburg geht dieses Thema auch strukturell an, zum Beispiel mit der Entwicklung von Führungsleitlinien oder dem Kompass zur guten Betreuung. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Betroffene von Machtmissbrauch eine Anlaufstelle haben. Deswegen biete ich nicht nur Antidiskriminierungsberatung, sondern auch Beratung bei Machtmissbrauch an. Für Promovierende gibt es außerdem schon länger die Konfliktberatung und das Ombudsverfahren – mit diesen Stellen arbeite ich eng zusammen.
„Spezifisch für Universitäten sind ganz sicher die starken Abhängigkeitsverhältnisse insbesondere in Wissenschaftskarrieren, die ein erhöhtes Risiko von Machtmissbrauch mit sich bringen.“
Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die nächste Zeit?
Ich entwickle ein Konzept dazu, wie die Universität mit Beschwerden zu Diskriminierung und Machtmissbrauch umgeht. Es gibt ja einige Stellen an der Universität, die auch schon bei Diskriminierungen beraten, etwa die Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung oder die Ansprechperson bei sexueller Belästigung und Stalking. Wir wollen uns noch besser vernetzen. Das neue Konzept sieht ein zweistufiges Verfahren vor: Als ersten Schritt gibt es eben die Beratungsebene. Und wenn dann auf der zweiten Ebene formale AGG-Beschwerden oder andere offizielle Maßnahmen nötig werden, soll es eine uniweite Richtlinie für einen klaren, transparenten Ablauf und Zeitrahmen geben. Daneben will ich meine Beratungen weiter in Gang bringen, die haben ja gerade erst begonnen. Und schließlich möchte ich präventive Schulungen anbieten. Ich denke, es sind jetzt Generationen von Studierende an der Universität, für die das Thema selbstverständlich ist und die auch ein Bewusstsein dafür einfordern.
Wenn sich eine betroffene Person an Sie als Ansprechperson für Antidiskriminierung wendet – was können Sie dann ganz konkret tun?
Ich schaue mit der Person gemeinsam, welche Schritte wir gehen können: Braucht die Person ein persönliches Empowerment, um mit der Situation besser umgehen zu können, ist vielleicht ein Vermittlungsgespräch nötig oder auch eine formale AGG-Beschwerde? Ich kann die Person natürlich auch dazu beraten, Kontakt zu einer Anwältin oder einem Anwalt aufzunehmen. Und ich kann Kontakt zu Fachberatungsstellen vermitteln. Es braucht keine Voraussetzungen, um sich bei mir zu melden. Das kann man übrigens auch tun, wenn man sich selbst nicht sicher ist, ob man eine Diskriminierung oder Machtmissbrauch erlebt hat. Das schauen wir uns dann zusammen an.