Frau Kleinschmit, beim Waldforum der Vereinten Nationen in New York (UNFF19) wird in dieser Woche über Fragen der internationalen Wald-Governance beraten, also darüber, wie Staaten und internationale Organisationen gute Regeln für die Nutzung und Erhaltung der globalen Wälder finden können. Ein wichtiger Impulsgeber wird dabei ein Bericht sein, den ein internationales Team von Forstwissenschaftler*innen unter Ihrer Leitung erstellt hat und den Sie am Freitag in New York vorstellen. Welche Botschaften geben sie den Vereinten Nationen mit?
Die Effektivität der internationalen Waldpolitik wird bislang häufig an der Entwaldungsrate gemessen, also daran, wie viel Waldflächen wir jedes Jahr verlieren – was wir übrigens kontinuierlich tun. Eine Kernbotschaft unseres Berichts ist aber, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir immer auf die Entwaldung als Indikator zurückzugreifen. Natürlich ist es wichtig, diese Zahl zu kennen, aber ihre Aussagekraft ist begrenzt. Stattdessen schlagen wir vor, den Erfolg von Waldpolitik mithilfe anderer Faktoren zu messen, beispielsweise dem Erhalt der Artenvielfalt oder der sozial gerechten Nutzung der Wälder. Denn Wälder erbringen extrem viele Ökosystemleistungen: Sie liefern Holz, sie speichern CO2, sie sind Lebensraum für viele Arten, sie tragen zur Ernährungssicherheit und Wasserqualität bei und sie bieten natürlich auch Platz für Spiritualität, Kultur und Erholung. Das sind nur einige der wichtigen Funktionen von Wäldern, die die Politik mitdenken muss.
Es muss mitgedacht werden, dass die Flächen, auf die Bäume gepflanzt werden, in vielen Fällen von Menschen schon auf andere Weise zum Lebensunterhalt genutzt werden.
Warum gibt es international bislang keine Wald-Governance, die auch soziale Gerechtigkeit, Ernährungssicherheit und weitere Aspekte einbezieht?
Zunächst ist die internationale Wald-Governance extrem komplex, weil der Wald an so vielen Stellen zum Gegenstand von Politik wird und so viele alte und neue Akteure mitreden. Noch Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre war Waldpolitik in erster Linie ein Gegenstand internationaler Abkommen zwischen Staaten. Die Vereinten Nationen behandeln Forstfragen in verschiedenen Bereichen, etwa im Pariser Klimaabkommen oder in der Konvention zur biologischen Vielfalt. Aber inzwischen sind neben Staaten zunehmend auch Firmen, NGOs und andere Stakeholder in die Waldpolitik involviert, dadurch nimmt die Komplexität zu.
Hinsichtlich der sozial gerechten Nutzung des Waldes spielen Machtfragen und finanzielle Interessen eine große Rolle, auch darauf gehen wir in unserem Bericht ein. Die Nutzung von Wäldern als Kohlenstoffspeicher und der Handel mit CO2-Zertikaten führt häufig zu einer Perspektive, bei der kurzfristige Gewinne im Vordergrund stehen. Die langfristige Nachhaltigkeit der Wälder und die Effekte für das Wohlbefinden der Menschen, die in unmittelbarer Nähe der Wälder wohnen und von ihnen anhängig sind, verliert man dabei aber aus den Augen. Die Stimmen dieser Menschen, insbesondere im Globalen Süden, werden international bislang nicht laut genug gehört. Wir stellen in unserem Bericht daher die Frage, wer eigentlich definieren darf, was das waldpolitische Problem ist und was nicht. Wer bestimmt zum Beispiel, ob ein Waldstück als „degradiert“ angesehen und daher restauriert werden sollte? Die lokale Bevölkerung vor Ort sieht das vielleicht anders und setzt andere Prioritäten. Diese bestehenden Machtasymmetrien stellen wir in unserem Bericht dar.
Welche Wirkung wünschen Sie sich, wenn Sie Ihren Bericht zur Wald-Governance beim Waldforum der Vereinten Nationen York vorstellen?
Seit dem Erscheinen des letzten Reviews zur internationalen Wald-Governance 2010 hat sich viel getan. Daher haben die Vereinten Nationen uns, das heißt den Internationalen Verband Forstlicher Forschungsanstalten (IUFRO), um einen Folgebericht gebeten, der die Entwicklungen der vergangenen 14 Jahre zusammenfasst. Ich würde mich freuen, wenn unser Bericht dazu beiträgt, dass in der internationalen Waldpolitik weniger auf einfache Zahlen fokussiert wird – etwa zur Entwaldung oder zur Aufforstung. Denn solche quantitativen Ergebnisse mögen schön darstellbar sein, sie sagen qualitativ aber wenig bis gar nichts aus. Stattdessen sollten wir stärker die Bedürfnisse der Menschen einbeziehen, insbesondere derjenigen, die ohnehin verwundbar sind und durch Krisen besonders gefährdet: Wer gewinnt durch das waldpolitische Handeln – und wer verliert? Man sollte sich die Effekte politischer Entscheidungen klarer vor Augen führen, insbesondere die nicht intendierten, die dann dennoch in Kauf genommen werden.
Im Juni werden Sie die neue Präsidentin von IUFRO. Welche Ziele setzen Sie sich in Ihrem Amt?
Die IUFRO ist eine mehr als einhundert Jahre alte, historisch gewachsene Organisation, in der sehr viele verschiedene Wissenschaftler*innen aus einem breiten Spektrum von Disziplinen zusammenarbeiten, vom praxisbezogenen Waldbau bis hin zur sozialwissenschaftlich ausgerichteten Erforschung von Waldpolitik. Unsere Mitglieder kommen aus allen Teilen der Welt, aber dort liegt auch eine Herausforderung: Während Forschende aus Europa und Nordamerika sehr präsent sind, wünsche ich mir eine noch viel stärkere aktive Beteiligung aus anderen Regionen, wie beispielsweise Südamerika und Afrika. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass wir ein besseres Verständnis für die Themen und wissenschaftlichen Probleme anderer Weltregionen entwickeln können. Es wird daher eine große Aufgabe sein, eine aktive Beteiligung insbesondere von Forschenden aus dem globalen Süden und aus bislang unterrepräsentierten Ländern zu erreichen.
Auch beim Austausch mit der Politik müssen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Wald-Governance stark regionalisiert hat. Das bedeutet, dass IUFRO neben der internationalen Ebene auch auf regionaler Ebene verstärkt in Interaktion mit der Politik treten muss. Das wird uns ermöglichen, viel zielgerichteter wissenschaftsbasierte Informationen für die Wald-Governance in verschiedenen Weltregionen anzubieten. Damit kann dann auch den unterschiedlichen waldpolitischen Prioritäten in den verschiedenen Regionen Rechnung getragen werden.