30 Meter über dem Waldboden: Forschung im Regenwald Ecuadors
Freiburg, 14.10.2025
Mit Seilen, Gurten und Kameras klettern zwei Freiburger Promovierende bis zu 30 Meter hoch in die Baumkronen Ecuadors. Dort, wo Kolibris um Nektar kämpfen, Nachtaffen Blüten plündern und Goldbäume die Landschaft erstrahlen lassen, erforschen Alessandro Mainardi und Claudia Viganò das geheime Leben tropischer Wälder – und stoßen auf Erkenntnisse, die für den Naturschutz entscheidend sein könnten.

Blick über den Regenwald. Foto: Alessandro Mainardi
Morgens um acht Uhr in den Bergen Ecuadors. Der Nebel hängt noch tief zwischen den Baumriesen, die feuchte Luft klebt an der Haut, und irgendwo ruft ein Tukan. Von einer kleinen Forschungsstation aus machen sich Alessandro Mainardi und Claudia Viganò auf den Weg – ihr Arbeitsplatz liegt nicht an Schreibtischen, sondern in den Kronen tropischer Bäume.
„Ich hatte vor der Promotion noch nie einen Baum bestiegen“, erzählt Alessandro lachend. Claudia dagegen brachte Klettererfahrung mit. Für beide ist die Arbeit im Regenwald mehr als Forschung – sie ist ein Abenteuer.


Eindrucksvolle Biodiversität
Die Wälder Ecuadors zählen zu den artenreichsten der Welt. „Wir sprechen von über 280 Baumarten – und über deren Phänologie, also den jahreszeitlichen Rhythmus von Blüte, Blattwechsel und Fruchtbildung, wissen wir fast nichts. Für den Naturschutz sind solche Daten extrem wichtig“, sagt Alessandro.
Das Forschungsteam wählte vier Arten aus: zwei immergrüne, zwei laubabwerfende. „Wir wollten herausfinden, zu welchen Jahreszeiten die Bäume blühen und neue Blätter bilden – sowohl in Trocken- als auch in Nebelwäldern.“ Das Ziel dabei: Herauszufinden, welche Umweltsignale die Bäume in den Tropen nutzen – denn hier weisen Temperatur und Tageslänge kaum jahreszeitliche Unterschiede auf.


Claudia konzentriert sich in ihrer Forschung auf den Handroanthus chrysanthus, auch genannt Goldbaum, aus der Familie der Bignoniaceae. Seine leuchtenden gelben Blüten verwandeln nach dem ersten Regen ganze Landschaften in ein Farbenmeer.
Ihr Blick gilt den Interaktionen zwischen Pflanze und Tier: Wildbienen, Vögel, Nachtaffen. „Viele dieser Beziehungen bleiben vom Boden aus unsichtbar. Nur oben in den Kronen kann man sie wirklich beobachten.“

Der Aufstieg in die Baumkronen
Jeder Arbeitstag beginnt mit einem einstündigen Fußmarsch von der Forschungsstation Estación Cientifica San Francisco (ECSF). Gegen zehn Uhr ziehen beide ihre Gurte fest, setzen Helme auf und steigen bis zu 30 Meter hoch.
„Ich sammle Blattproben für genetische Analysen, installiere Kameras und befestige Dendrometer, die das Wachstum messen“, erklärt Alessandro. Da es keine Metalltürme gibt, nutzt das Team die Bäume selbst als Messplattformen – „tower trees“. Über Jahre hinweg nehmen Kameras täglich Millionen Bilder auf: Blätter treiben aus, Blüten öffnen sich, Wolken ziehen vorbei – ein stiller Kalender des Waldes.
Claudia montiert kleine Kamerafallen, die nachts aktiv werden. Sie dokumentierte Szenen, die noch niemand zuvor gesehen hat: Nachtaffen im Kronendach, Kolibris im Wettstreit um Nektar, farbenprächtige Tangaren. „Jedes Mal, wenn ich die Spitze meiner höchsten Bäume erreichte, war es ein Privileg diese Vielfalt eines einzigen Baumes zu beobachten – Kolibris, die um Nektar konkurrieren, bunte Tangaren, die durch die Äste huschen.

Wissenschaft zwischen zwei Kontinenten
Sechs Monate Ecuador, sechs Monate Freiburg: Alessandro untersucht im Labor die Gene, die Blüten steuern. „Wenn ein Baum im August blüht, können die Gene schon im April aktiv werden.“ So werden ökologische Mechanismen sichtbar – und auch erste Auswirkungen des Klimawandels. Während eines El-Niño-Ereignisses blühten viele Bäume schwächer und früher.
„Ich war extrem glücklich, im Regenwald zu sein und diesen direkten Kontakt mit der Natur zu haben – ein Kontakt, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Das Leben dort, 24 Stunden am Tag, war inspirierend und voller Eindrücke, die ich nie vergessen werde.“
Alessandro Mainardi
Doktorand
Claudia lebt zwischen zwei Welten: „Drei Jahre lang fühlte ich mich wie ein Zugvogel – ich floh nicht vor dem Winter, sondern jagte dem Sommer nach.“ In Deutschland wertet sie ihre Daten aus, schreibt an Papers und bringt ihre Beobachtungen in den wissenschaftlichen Diskurs ein. Die Monate im Feld sind körperlich und mental fordernd. „Am Anfang war das Klettern eine enorme Herausforderung“, gibt Alessandro zu. Auch Claudia beschreibt den Alltag zwischen Baumriesen als prägend: „Wenn ein Baum gefällt wird, geht ein ganzes kleines Universum verloren. Das ist erschütternd, wenn man bedenkt, wie viele Hektar Wald jedes Jahr verschwinden.“ Unterstützt werden die beiden von Studierenden der Universidad Técnica de Loja. „Sie kennen den Wald besser als wir – ihre Arbeit ist unbezahlbar“, sagt Alessandro.
Betreut werden beide von Prof. Dr. Katrin Heer, Inhaberin der Eva Mayr-Stihl Stiftungsprofessur für Forstgenetik. Sie ist eng mit Wissenschaftler*innen aus Ecuador, Argentinien und der EU vernetzt. „Seit meinem Studium habe ich in unterschiedlichen Projekten in Mittel-und Südamerika gearbeitet und nun vor allem in diesen beiden Ländern sehr gute Kooperationen etablieren können, die wir über verschiedene Projekte und die Co-Betreuung von Promotionen aufrechterhalten.“ Die Promotionen von Claudia und Alessandro sind Teil einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird.

Forschung und Verantwortung
Beide begreifen ihre Arbeit nicht nur als Forschung, sondern als Engagement. Alessandro sieht für den Naturschutz den politischen Willen als entscheidend. „In Ecuador, wie in vielen Ländern, stehen kurzfristige wirtschaftliche Interessen – etwa Bergbauprojekte – oft im Konflikt mit Naturschutz. Wir müssen mehr Bewusstsein schaffen, dass diese Wälder nicht nur für das Land selbst, sondern für die ganze Welt von Bedeutung sind“, so Alessandro. Mit seinen Bildern, die er zukünftig in Fotoausstellungen zeigen möchte, will er zeigen, wie schön und wertvoll diese Ökosysteme sind.
Natur und Biodiversität in Ecuador
- Ecuador gehört zu den artenreichsten Ländern der Erde.
- Im Regenwald finden sich:
- Über 10.000 Pflanzenarten
- Über 1.500 Tierarten, darunter Jaguare, Tapire, Flussdelfine, Aras, Anakondas, Affen und unzählige Insekten
- Besonders bekannt ist der Yasuní-Nationalpark, einer der artenreichsten Orte der Welt.
Claudia formuliert ihre Motivation so. „Am meisten begeistert mich die Entdeckung und Weitergabe neuer Einblicke in tropische Arteninteraktionen, die bisher niemand untersucht oder beobachtet hat. Lange Zeit dachte ich, es gäbe nicht mehr viel zu entdecken – bis meine eigenen Erfahrungen in den Tropen mich vom Gegenteil überzeugten.“ Und sie fügt hinzu: „Je mehr wir lernen, desto mehr können wir verstehen, und desto eher sind wir bereit, zu schützen.“ Besonders eindrücklich wirkt für die 28-Jährige ein Zitat des senegalesischen Forstingenieurs Baba Dioum: „Am Ende werden wir nur das bewahren, was wir lieben. Wir werden nur das lieben, was wir verstehen. Und wir werden nur das verstehen, was uns gelehrt wird.“
Regenwälder besser schützen
Beide arbeiten an ihren Dissertationen – Alessandro an genetischen Analysen, Claudia an ihrem ersten Paper. Ihre Hoffnung: dass ihre Methoden auch in anderen Tropenregionen angewandt werden und ihre Arbeit dazu beiträgt, Regenwälder besser zu schützen.
Alessandro Mainardi
- Doktorand an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg.
- Masterstudium in Ökologie und Evolution in Amsterdam; Masterarbeit zur Phänologie für den Schutz des Westlichen Schimpansen in Guinea-Bissau.
- Forschungsschwerpunkte: Genetik und Phänologie tropischer Bäume.
Claudia Viganò
- Doktorandin an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg.
- Masterarbeit über die Nutzung von Spechthöhlen durch kleine Vögel und Säugetiere in den alpinen Nadelwäldern des Nationalparks Stilfserjoch, Erasmus-Praktikum auf Teneriffa.
- Forschungsschwerpunkt: Interaktionen zwischen Handroanthus chrysanthus und tierischen Besuchern, die tagsüber (Vögel und Insekten) und nachts (Nachtaffen) aktiv sind.
Weitere Informationen
Seit der Einführung der Eva Mayr-Stihl Stiftungsprofessur für Forstgenetik 2021, forscht die Biologin Prof. Dr. Katrin Heer mit ihrer Arbeitsgruppe zur evolutionären Ökologie von Baumarten. Je nach Forschungsfrage arbeitet sie mit verschiedenen Baumarten, von der Rotbuche über die Stieleiche bis hin zu Baumarten in Südamerika. Prof. Dr. Katrin Heer ist Principal Investigator des ab 2026 geförderten Exzellenzclusters Future Forests.