„An die Universität zu kommen, war etwas ganz Außergewöhnliches für mich.“
Freiburg, 23.06.2025
Christian Streich ist Alumnus der Universität Freiburg. Nach Hauptschulabschluss, abgeschlossener Berufsausbildung als Industriekaufmann und Jahren im Profifußball machte er sein Abitur, um anschließend in Freiburg Germanistik, Geschichte und Sport auf Lehramt zu studieren. Im Interview spricht Streich darüber, warum dieser Weg nicht selbstverständlich für ihn war, wie er seine erste Hausarbeit nach zwei Tagen zur Überarbeitung zurückbekam und was Universitäten aus seiner Sicht heute leisten müssen. Beim Alumni-Tag am 4. Juli erhält Streich die Universitätsmedaille. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
Herr Streich, wie sind Sie an die Universität Freiburg gekommen?
Christian Streich: Nach dem Hauptschulabschluss habe ich eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann absolviert. Zur gleichen Zeit habe ich beim Freiburger FC in der 3. Liga Fußball gespielt. Es folgten Jahre im Profifußball beim FC Homburg und bei den Stuttgarter Kickers. Ich wollte jedoch zurück nach Freiburg. Dort habe ich am Kolping-Kolleg mit BAföG-Unterstützung an einer Ganztagesschule über drei Jahre das Abitur nachgeholt. Erst mit 28 habe ich anfangen, an der Universität zu studieren: Sport, Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Weil ich hier verwurzelt bin, wollte ich in Freiburg studieren, was dann auch funktioniert hat.
Warum haben Sie nach Ihrer Berufsausbildung das Abitur nachgeholt?
Streich: Weil ich gerne studiere wollte. Was mich immer interessierte, war Literatur und Geschichte, besonders die deutsche, die ja im 20. Jahrhundert sehr bewegt war. Sport hat sich auch angeboten.
So haben Sie Germanistik, Geschichte und Sport auf Lehramt studiert …
Streich: Ja, aber in erster Linie gar nicht mit dem Berufsziel Lehrer. Es ging mir um das Studium an sich. Aber ich habe mich schon gefragt, was ich nach meinem Abschluss damit machen soll. Ich war ja bereits 28. Daher war es für mich naheliegend, auf Lehramt zu studieren, um direkt ein Berufsziel für die Zeit nach dem Studium zu haben.

„Studieren zu können, Vorlesungen zu besuchen und von Professor*innen zu lernen, sind Dinge, mit denen ich ein paar Jahre zuvor nicht gerechnet hatte.“
Christian Streich
Alumnus der Universität Freiburg und ehemaliger Trainer des SC Freiburg
Wie war es für Sie, nach der Berufsausbildung und den Jahren im Profisport an die Universität zu kommen?
Streich: An die Universität zu kommen, war etwas ganz Außergewöhnliches für mich, weil ich aus einer Handwerkerfamilie komme. Im engeren Familienkreis war niemand zuvor an der Universität gewesen. Studieren zu können, Vorlesungen zu besuchen und von Professor*innen zu lernen, sind Dinge, mit denen ich ein paar Jahre zuvor nicht gerechnet hatte und mit denen ich mich auch nicht auseinandergesetzt habe, als ich auf der Hauptschule war. Dadurch habe ich im Vergleich zu denen, die auf dem Gymnasium waren, einen Riesenunterschied wahrgenommen. Strukturiertes Lernen ist mir sehr schwergefallen, weil ich es vor der Universität nie richtig gelernt habe. Gleichzeitig habe ich auf der Hauptschule andere Dinge gelernt.
Zum Beispiel?
Streich: Soziale Unterschiede und Auseinandersetzungen wahrzunehmen, die Kommiliton*innen, die vom Gymnasium kamen, so nicht kannten. Es gab etwa Schulkolleg*innen, die nicht zur Schule gekommen sind, weil sie bei der Ernte helfen mussten.
Der Profisport setzt sehr akribisches und diszipliniertes Arbeiten voraus. Hat Ihnen diese Erfahrung im Studium geholfen?
Streich: Ja, ich glaube schon, dass das geholfen hat. Dadurch, dass ich schon etwas älter war, wusste ich, dass ich einiges dafür investieren muss, damit sich Gelerntes verfestigt und ich vorankomme.
Wie haben Sie das Studium erlebt? Gibt es spezielle Episoden, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind?
Streich: Was ich besonders schön fand, war der Austausch mit anderen Studierenden und dass ich wählen konnte, was mich interessierte, also etwa Seminare oder Hausarbeitsthemen. Mein erstes Hausarbeitsthema im Geschichtsstudium war der „Stahlhelm“, eine paramilitärische Organisation nach dem Ersten Weltkrieg. Zwei Tage nach Abgabe bekam ich die Arbeit zurück und musste alles neu machen. Der Professor hat viel kritisiert, aber konstruktiv und hilfreich, etwa die Fußnoten. Ich war das wissenschaftliche Denken noch nicht gewohnt, sodass ich das nicht gelernt hatte. Dann habe ich mich noch mal hingesetzt, und die Hausarbeit klappte. Auf diese Weise habe ich mich immer weiter reingearbeitet.
Die vielen Wahlmöglichkeiten gaben Ihnen die Gelegenheit, Ihre Interessen zu verfolgen. Welche waren es?
Streich: Was ich insbesondere verstehen wollte, waren autoritäre Strukturen: Warum werden zum Beispiel rational nicht nachvollziehbare Dinge angenommen, wenn sie von charismatischen Persönlichkeiten vorgetragen werden? Wie wirkt Propaganda? Wie werden Menschen manipuliert?
Politisches Interesse zeigte sich auch später in Ihrer Trainerlaufbahn, in der Sie sich des Öfteren zu aktuellen Themen geäußert haben.
Streich: Ja, auf jeden Fall. Es ist mir wichtig, ein politischer Mensch zu sein und über das Zeitgeschehen zu reflektieren und zu versuchen, es in geschichtliche Kontexte zu setzen, Parallelen zu erkennen. Da hat auch das Studium sehr geholfen. Geäußert habe ich mich, weil ich von Journalist*innen gefragt wurde. Und wenn ich gefragt werde, will ich nicht immer sagen, dass ich mich zu bestimmten Themen nicht äußere. Dabei war mir bewusst, dass ich als Fußballtrainer auch eine gewisse Reichweite habe und Menschen erreichen kann.
Nach dem Studium folgte das Referendariat, das Sie jedoch nicht beendeten, um sich dem Fußball zuzuwenden.
Streich: Ich habe das Referendariat begonnen, war da aber schon A-Jugend-Trainer. Das war sehr intensiv, weil es mit der Professionalisierung der Jugendarbeit im deutschen Fußball einherging, wodurch auch Arbeitsplätze entstanden. Sonntags waren die Spiele, verknüpft mit einer hohen Emotionalität und Fokussierung. Im Kontrast dazu das Referendariat und die dafür nötige Vorbereitung. Das war schwer zu vereinbaren für mich, auch mental. Letztlich entschied ich mich nach zweieinhalb Monaten dazu, Jugendtrainer zu werden.
Ist Ihnen diese Entscheidung leichtgefallen?
Streich: Es ging mir um Sicherheit. Ich war 33 und schon vier Jahre Trainer. Ich habe gesehen, dass das gut funktioniert. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob ich erfüllen kann, was von einem Lehrer erwartet wird. Oder ob ich mit meinen Fähigkeiten nicht doch die Trainerlaufbahn verfolgen sollte, wofür ich möglicherweise besser geeignet war.

„Die Universität ist eine unglaublich wichtige Institution, und deren Mitglieder sollten sich in aller Deutlichkeit und aller Klarheit für Menschenrechte, Diversität, Vielfalt einsetzen.“
Christian Streich
Alumnus der Universität Freiburg und ehemaliger Trainer des SC Freiburg
Menschen stehen oft vor schwierigen Karriereentscheidungen, etwa ob sie ein Studium oder eine Ausbildung abbrechen und einen anderen Weg einschlagen sollen. Haben Sie für diejenigen einen Ratschlag?
Streich: Bei mir war es so, dass ich eine Leidenschaft hatte, die ich zum Beruf machen konnte. Das ist etwas ganz Tolles. Man sollte das machen, was man gern macht. Denn dadurch hat man auch die Kraft, in eine Sache zu investieren. Wenn man Spaß an einer Sache hat und intrinsisch motiviert ist, hilft das, auch „Dürrephasen“ zu überstehen. Das spürt man und sollte nicht zu sehr auf Meinungen von außen hören.
Und wie blicken Sie heute auf Universitäten – haben Sie auch für sie einen Ratschlag?
Streich: Die Universität ist eine unglaublich wichtige Institution, und deren Mitglieder sollten sich in aller Deutlichkeit und aller Klarheit für Menschenrechte, Diversität, Vielfalt einsetzen und das auch kommunizieren. Hier draußen [an der Fassade des KG 1, Anm. d. R.] steht „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Wir wissen aber teilweise gar nicht mehr, was Wahrheit ist. Autoritäre Menschen, Strukturen und Führer erzählen uns Lügen. Das heißt, es ist total wichtig, dass an der Universität über wahre Dinge berichtet wird und auch die Unwahrheiten thematisiert werden. Und dass gelehrt wird, wie wir diese Unwahrheiten erkennen.
Lügen gab es in der Geschichte immer. Heute wird ganz bewusst gelogen, und es wird nicht mehr versteckt. Stichwort: „alternative Wahrheiten“. Das gab es auch im Nationalsozialismus, was in der Katastrophe geendet ist: Menschen wurden gequält und ermordet, millionenfach. Uns ist das ja alles bekannt. Das Problem ist nur, oft geht es zwei, drei Generationen, und dann wird es vergessen. Oder es wird probiert, die Geschichte anders zu erzählen. Und dafür ist die Universität auch da, um auf diese Dinge hinzuweisen und die Menschen so auszubilden, dass sie zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden können.