Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union wirken sich nicht nur auf das jeweilige Prozessrechtsverhältnis aus, sondern haben eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung. So verpflichtet Art. 266 Abs. 1 AEUV alle Stellen der Europäischen Union (EU) dazu, die sich aus einer Nichtigkeits- oder Ungültigkeitsentscheidung des Gerichtshofs „ergebenden Maßnahmen zu ergreifen“. Manuel Willms zeichnet in der von ihm vorgelegten Dissertation die materiell-rechtlichen Wirkungen der Entscheidungen des Gerichtshofs nach, entwirft ihre dogmatischen Grundlagen, grenzt sie von verwandten Figuren wie der materiellen Rechtskraft ab und zeigt ihre Bedeutung und Funktion im Kompetenzgefüge der EU. Im Ergebnis wird deutlich, dass zur Wahrung legislativer und exekutiver Gestaltungsräume eine starre Pflicht zur Entscheidungsbefolgung im unionalen Kompetenzgefüge trotz der scheinbar eindeutigen Vorschrift des Art. 266 Abs. 1 AEUV nicht immer anzuerkennen ist. Entgegen einer bisher in der Literatur verbreiteten Einschätzung zeigt die Dissertation, dass dem Einzelnen ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Bindung an die Gerichtsentscheidungen im Einzelfall auch durchzusetzen. Ein Verstoß gegen die Bindungswirkung kann den Tatbestand des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs nach Art. 340 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 41 Abs. 3 GRCh erfüllen. In der Folge sind die Nachteile auszugleichen, die dem Einzelnen infolge der unzureichenden Entscheidungsbeachtung entstanden sind.
Termin des Rigorosums: 22.1.2020
Zweitgutachter: Prof. Dr. Eibe Riedel, LL.B. (London)
Veröffentlichung der Dissertation: Mohr Siebeck, Tübingen 2020, 377 Seiten