Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts interessierte sich die katholische Kirche wenig für die bürgerliche Kleinfamilie, ihre Sexualität und den Schutz ungeborenen Lebens. Im 20. Jahr-hundert aber wurden genau diese Themen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu einem Marker, ja zu Säulen katholisch-konfessioneller Identität. Allen voran die Konzeption gesell-schaftlicher Strukturen von der Kleinfamilie her und die rigide Haltung in allen Fragen des Lebensschutzes wurden geradezu typisch katholisch. Es ist allerdings kaum erforscht, wie die katholische Kirche zu dieser Haltung kam – und wie sie histo-risch gelebt wurde.
Die Tagung fragt danach, wie sich kirchliche Positionen in einem umstrittenen moralischen und gesellschaftlichen Feld des 20. Jahrhunderts entwickelten und wie solche Positionierungen zu verstehen und zu kontextualisieren sind. Mit einem zeitlichen Fokus vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre geht es auch um die Frage, wie Gemeinden, Verbände oder Einzelper-sonen mit den skizzierten kirchlichen Positionen um-gegangen sind. Wie hat sich der Pfarrklerus zwischen allen Fronten positi-oniert und welche Konfliktlinien ergaben sich daraus, vor Ort und gesamtgesellschaftlich? Wie wirkten sich die gesellschaftli-chen Umbrüche – die Retraditionalisierung in den 1950ern und die Liberalisierung in den 1960ern/70ern – konkret auf die pastorale Praxis, die katholische Verbandsarbeit und die Theo-logie aus – und umgekehrt?
Die Tagung ist ein gemeinsame Tagung des Geschichtsvereins und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.