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Kerstin Fest

Als Lehrende verbietet Kerstin ihren Studentinnen gerne, sich in Seminaren stets vor jeder Wortmeldung zu entschuldigen.

Autorin

Cosima Banulus-Nessler steht nach 4 Jahren Liberal Arts and Sciences Studium (dank Corona zu großen Teilen in Zügen und Cafés absolviert) nun endlich kurz vor dem Bachelorabschluss und freut sich auf neue, aufregende Projekte (vielleicht ein spannender Master – oder auch mal einfach ohne Laptop auf dem Schoß einen Cappuccino genießen). Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten entweder mit Musik hören oder Musik machen, die verbleibende Zeit investiert sie in Siedler von Catan und einen nie endenden Bücherstapel.


Von Virginia Woolf und Judith Butler zu EPICUR?

Kaum jemand kennt wohl ‚Universität‘ von so vielen Seiten wie Kerstin Fest: studiert, promoviert, geforscht, gelehrt und nun letztendlich im Wissenschaftsmanagement angekommen. Ihre Karriere an der Universität führte sie von den Literaturwissenschaften bis heute, wo sie sich für die Planung und Umsetzung einer europäischen Universität einsetzt.

Die warmherzige Österreicherin begann ihr Studium 1995 in Salzburg und wusste damals noch lange nicht, dass sie die Universität auch zu ihrem Arbeitsplatz machen würde. Ihre Liebe zur Literatur und englischen Kultur verwandelte sie damals in ein Studium von Germanistik und Anglistik, wobei ihr das letztere besonders gut gefiel. Schon im Studium verliebte sie sich in die Werke von Virginia Woolf, die ihr als die eine ikonische Frau im Rang der männlichen Autoren des klassischen Literaturkanons imponierte. Auch heute noch sieht sie sich, wenn sie durch die Straßen Londons spaziert, an der Seite von Mrs. Dalloway flanieren. Nach einem Jahr als Teaching Assistant in Minnesota verschlug es Kerstin Fest eher zufällig auf einen Promotionsplatz in Deutschland, zum ersten Mal an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nachdem sie erkennen musste, dass es Doktorthesen über Virginia Woolf bereits im Überfluss gibt, beschloss sie trotzdem ihrem besonderen Interesse an der Frau in der Literatur festzuhalten. Sie beschäftigte sich mit der Konstruktion der weiblichen Identität in mehreren modernen Romanen von Autorinnen des frühen 20. Jahrhundert. Nach der Promotion zog es Kerstin Fest weiter, und sie verbrachte mehrere Jahre in Cork, Irland, wo sie hauptsächlich an der Fakultät für Germanistik lehrte. Schließlich kehrte sie 2013 an ihre Alma Mater, die Universität Freiburg, zurück, wo sie sich wieder der Anglistik widmete.

Eine besonders einflussreiche Denkerin war und ist für Kerstin Fest durch diese Jahre als Lehrende und Forschende hindurch Judith Butler. Ihr Konzept der Performanz, welches im Werk Gender Trouble (1990) erläutert wird, kommt Kerstin Fest immer wieder in den Sinn, wenn sie auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in einer Universitätskarriere stößt. Butler zeigt auf, wie die Verhaltensweisen von Individuen eines bestimmten Gender maßgeblich von der Performanz ebendiesen geprägt ist, also nicht intrinsisch und natürlich vorhanden sind, sondern „gespielt“ werden. Durch diese Performanz werden Rollenbilder dann natürlich reproduziert. Dass diese Idee für manche auch beunruhigend sein kann versteht Kerstin Fest:“ Es ist nicht so als würde ich damit ständig rumlaufen und sagen ich bin nur eine Performantin.“, lacht sie. Sie findet jedoch, dass die Idee nützlich ist, um manche Vorgänge in ihrem Umfeld besser einzuordnen.

Gerade bei ihrer Arbeit an der Universität fällt ihr immer wieder auf, dass es die Frauen sind, die Kaffee kochen, Tische aufstellen oder sich als Lehrende vor ihren Seminaren Gedanken machen, ob sie sich ihren Studentinnen zu ähnlich kleiden. Es entgeht ihr auch nicht, wie unterschwellig immer wieder angenommen wird, dass die weiblichen Doktorandinnen gen dreißig sowieso in die Familie verschwinden werden. Eine wissenschaftliche Karriere in Teilzeit – kaum möglich, so die ewige Botschaft. Als Lehrende verbietet Kerstin ihren Studentinnen gerne, sich in Seminaren stets vor jeder Wortmeldung zu entschuldigen. Für sie sind die typischen Phrasen „Ich weiß nicht ganz, ob das hierher passt…“oder „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber…“ ganz klar Teil der Performanz, die sie auch immer wieder selber an sich entdeckt. Trotz allem: Kerstin Fest fühlte sich abgesehen von diesen kleinen, feinen Unterschieden als Frau an der Universität selten benachteiligt. In ihrem Fach war sie oft Teil eines vorwiegend weiblichen Kollegiums, wenn auch der Literaturkanon – wenig überraschend – noch immer sehr männlich ist.

Den enormen Druck, der heutzutage auf jungen Wissenschaftler*innen lastet, erlebte sie dennoch. Habilitieren, lehren, forschen, auf Konferenzen fahren, um Stellen konkurrieren und unentwegt publizieren – in einer „schöpferischen Krise“, wie sie es nennt, traf Kerstin Fest schließlich die Entscheidung, sich nach neuen Horizonten umzusehen. Sie stößt auf eine Stelle im Wissenschaftsmanagement an der Universität Freiburg für das Projekt EPICUR, das sie als Institutional Coordinator und Projekt-Managerin schon in der zweiten Förderphase leitet.

Ihre Karriere, die so von Wechseln geprägt ist, scheint jedoch immer beflügelt und getrieben von ihren Hoffnungen und Ideen, was Universität sein könnte. Einerseits gilt dies für die Literatur: Sie ist und bleibt Kerstin Fests große Liebe. „Es ist eine schöne Art die Welt zu erleben, diesen Zugang zu anderem Bewusstsein und Erlebnissen zu haben“, sagt sie. Gerade dieser Zugang zu neuen Geschichten und Perspektiven stimmt sie hoffnungsvoll für die Zukunft. Sie plädiert für die Weiterentwicklung der Literaturwissenschaften als eine Gelegenheit des besseren Verstehens von anderen Erzählungen: „Man kann nicht wie seit hundert Jahren Literaturwissenschaften machen“. Postkolonialen Perspektiven, feministischen Fantasien, queere Quellen, Gen-Z Gedichte oder alles andere Denkbare: „Schreiben und Geschichten erzählen ist so etwas grundlegend Menschliches, dass wir das alle machen, ganz unabhängig von Herkunft und Hintergrund“, so Kerstin Fest.

Kerstin Fests aktuelle Zukunftshoffnung ist jedoch die europäische Universität: „Mir ist Wissen an sich wichtig, aber eben auch einen Kontext und eine Infrastruktur für dieses Wissen zu schaffen“. Das Projekt EPICUR, für welches sie in Freiburg die Koordination innehat, wurde auf Initiative der Europäischen Kommission ins Leben gerufen. Ziel ist es, attraktive und innovative europäische Zukunftsuniversitäten zu schaffen. EPICUR ist eines unter 43 solcher Projekte in ganz Europa. Bereits jetzt können Studierende der neun Partneruniversitäten in sechs verschiedenen Ländern aus einem gemeinsamen Kurskatalog wählen und Onlineveranstaltungen belegen.

Die neugefundene Passion für das Schaffen von Räumen für Wissen, Lernen und Forschen über Grenzen hinweg bietet ihr zugleich Gelegenheit ihre Erfahrung einzubringen: „Ich finde es jetzt auch von Vorteil, dass ich selbst geforscht und gelehrt habe – auch international“, so könne sie sich besser in die Interessen und Bedürfnisse Lehrender und Studierender einfühlen, so Kerstin Fest. Den Wechsel in dieses neue Aufgabenfeld empfindet Kerstin Fest als befreiend: „Ich mache schon immer noch Forschung, bin zwischendurch mal auf Konferenz oder schreibe einen Artikel, aber der Druck ist raus.“

Wenn sie auf ihre wechselhafte und vielseitige Karriere an der Universität zurückblickt, meint Kerstin Fest: „Ich war da nie ganz strategisch, das waren eher immer glückliche Fügungen.“ Immer wieder hatte sie keine Angst davor, ins Unbekannte vorzustoßen, neue Herausforderungen zu meistern und ihre eigenen Ideen und Leidenschaft mitzubringen. Wo sie nun angekommen ist, gefällt ihr sehr gut, auch wenn sie sich langfristig vorstellen könnte, in ihre österreichische Heimat zurückzukehren.