Die Universität Freiburg war in den deutschen und europäischen Kolonialismus in vielfältiger Weise verstrickt. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen waren inner- und außerhalb der Universität aktive Befürworter einer deutschen Kolonialexpansion und profitierten teilweise beruflich davon. Außerdem war die Universität jahrzehntelang Veranstaltungsort öffentlicher kolonialer wissenschaftlicher wie politischer Vorträge, die in die Stadtgesellschaft ausstrahlten. In den Disziplinen Geographie, Ethnologie, Anthropologie, Medizin, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaft, aber auch weiteren Fächern finden sich Verbindungslinien.
Zu den besonders problematischen Verbindungen gehören „Rassenkunde“ und Sozialdarwinismus und die mit ihnen verbundene anthropologische „Alexander-Ecker-Sammlung“. Der Anatom Alexander Ecker initiierte diese Sammlung 1857. Sie besteht zwar zu einem großen Teil aus Schädeln aus Südwestdeutschland, allerdings suchte schon Ecker mit Nachdruck auch solche aus allen Weltgegenden. Zu den ersten „Objekten“ zählte das Skelett eines 1810 in Freiburg verstorbenen Afrikaners. Der Aufbau der biologisch-anthropologischen Sammlung ging direkt einher mit der ethnographischen, die dann aber als Dauerleihgabe an die städtischen Museen abgegeben wurde. Von den ca. 1.350 heute noch verbliebenen Schädeln der Ecker-Sammlung stammen zum Beispiel ca. 120 aus Afrika.
Bei der Beschaffung in Übersee bedienten sich die Kuratoren Ecker und insbesondere sein Nachfolger Eugen Fischer eines Netzwerks von Freunden und Kollegen, die auf Anfrage menschliche Überreste besorgten. Diese wurden häufig ausgegraben, teilweise stammten sie aber auch aus Krankenhäusern und Lazaretten. Eine weitere Problematik kam während der Zeit der formellen deutschen Kolonialherrschaft hinzu, als gezielt menschliche Überreste in den Kolonien des Deutschen Reiches beschafft wurden. Im Falle Deutsch-Neuguineas richtete Fischer eine Bitte an das Gouvernement und erhielt daraufhin 1905 drei ganze Köpfe von Hingerichteten. Noch im selben Jahr publizierte er einen Aufsatz über seine Studien daran. Im Falle Kameruns ist davon auszugehen, dass die nach Freiburg überführten Körperteile von im Zuge brutaler Militärexpeditionen Getöteten stammen.
In einem sozialdarwinistisch geprägten Weltbild wurden Völker und „Rassen“ als über- oder unterlegen klassifiziert und wie selbstverständlich typologisiert und geordnet. Die „Sammlung“ implizierte dabei eine „Objektifizierung“ gestorbener Menschen: Die menschlichen Überreste wurden mit Nummern versehen, entpersonalisiert und ihrer Würde beraubt. Eine Zustimmung etwa von Familienmitgliedern wurde durch die „Sammler“ nicht eingeholt.
Der Freiburger Professor und Sammlungskurator Eugen Fischer wurde einer der bekanntesten „Rassenforscher“ und Eugeniker des 20. Jahrhunderts. In seiner Freiburger Zeit führte er 1908 kolonial-rassistische „Forschungen“ in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) durch. Die dort von ihm aus Gräbern geraubten menschlichen Skelette schenkte er der Universität Freiburg für die Ecker-Sammlung. Seine 1913 erschienene, stark rezipierte Schrift zu den „Rehobother Bastards“ ist ein Beitrag zur scharfen Ablehnung von „Mischehen“. Sie diente ihm als Sprungbrett für seine Karriere in Freiburg und später in Berlin.
Zur Geschichte der Universität Freiburg wie auch zu einer Reihe bedeutender Wissenschaftler – etwa auch Eugen Fischer – liegen zahlreiche Beiträge vor. Eine systematische, fächerübergreifende Bestandsaufnahme, Zusammenschau und Aufarbeitung der kolonialen Verflechtungen ist bislang allerdings nicht erfolgt. Zur Kolonialgeschichte sind nur einzelne, hauptsächlich nicht veröffentlichte studentische Beiträge zu einzelnen Aspekten verfasst worden, es fehlt aber eine übergeordnete Befassung mit der gesamten Universität. Zivilgesellschaftliche Akteure – nicht zuletzt die Initiative „freiburg-postkolonial.de“ – haben dabei schon Vorarbeit geleistet, insbesondere zur Geschichte der Geografie und zur Ecker-Sammlung. In einer von der Stadt Freiburg in Auftrag gegebenen und herausgegebenen Studie (Freiburg und der Kolonialismus, Freiburg i. Br. 2018) haben Grewe, Himmelsbach, Theisen und Wegmann auf die wesentliche Rolle von Universitätsangehörigen im städtischen Umfeld verwiesen: Universitätsprofessoren spielten demnach – auch jenseits der Lehre – eine herausragende Rolle in der Kolonialpropaganda und in (kolonial-)wissenschaftlichen Vereinigungen; die Universität selbst war ein zentraler Ort zumeist prokolonialer Informations- bzw. Werbeveranstaltungen. Ähnlich prominent hat auch die von den städtischen Museen durchgeführte Ausstellung „Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!“ (2022-23) auf die Rolle der Universität hingewiesen.
Zu den Aufgaben der Universität Freiburg gehört heute ein angemessener erinnerungspolitischer Umgang mit diesem Erbe. Die mehrfach besprühte Büste von Alexander Ecker ist derzeit unter Verschluss, der ebenfalls immer wieder besprühte Sockel steht ohne jegliche Kontextualisierung vor einem Gebäude der Universität. Im KG I befindet sich eine Büste des Reichskanzlers Otto von Bismarck, der in der deutschen Geschichte zwar differenziert wahrgenommen wird, z.B. von afrikanischen Gästen und Studierenden allerdings hauptsächlich als Protagonist der Berliner Kongokonferenz (1884/84) gesehen wird. Eine geeignete Form der Kontextualisierung wird noch gesucht.
Repatriierungsforderungen menschlicher Überreste steht die Universität positiv gegenüber, wenngleich rein rechtlich das Land Baden-Württemberg Eigentümerin der Bestände ist. 2014 konnte die Universität Freiburg erste „Ahnen“ an Namibia übergeben; 2023 wurden „iwi kupuna“ in Stuttgart einer gemeinsamen Zeremonie an eine Delegation aus Hawai’i überreicht.
Bei einer feierlichen Rückgabezeremonie wurden Überreste von neunzehn Personen hawaiianischer Herkunft an Repräsentant*innen aus dem US-Bundestaat Hawaii zurückgegeben.
Im Zuge der Aufarbeitung der Provenienzen in der Alexander-Ecker-Sammlung beschäftigte sich ein internationaler Beirat aus hauptsächlich afrikanischen Forschern mit der Freiburger Vergangenheit (finanziert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste). Hieraus sind Empfehlungen zum Umgang mit dem kolonialen Erbe hervorgegangen, die von der Universität geprüft werden. Ein von der VolkswagenStiftung finanziertes Folgeprojekt beschäftigt sich mit der „Restitution der Würde“. Durch zahlreiche innovative Formate der Wissenschaftskommunikation versuchen Mitglieder des Africa Centre for Transregional Research (ACT) die Aufmerksamkeit auf eines der schwierigsten Kapitel der Universitätsgeschichte zu erhöhen und weitere Forschung zu initiieren.
Weiterführende Informationen
Die Alexander Ecker Sammlung
Sven Seelinger: Kolonialgeographie in Freiburg. Der Lehrstuhl für Geographie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. 1886 – 1919
Universität und Kolonialismus – Das Beispiel Göttingen
Infos zur Publikation „Freiburg und der Kolonialismus“ (2018)
Pressemitteilung zum Projekt „Restitution der Würde?“
Infos zum Katalog der Ausstellung „Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!“