Freiburg, 11.02.2025
Im Ausbildungsprogramm KoWerk erlernten Unternehmen und Initiativen aus der Region Freiburg über 10 Wochen die Grundlagen für gemeinschaftliches Wirtschaften.
Klimawandel, Bauernproteste, Arbeitskräftemangel und eine höhere Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln – die Ernährungsbranche steht unter Druck. Wie können Landwirt*innen, Lebensmittel-Händler*innen oder Gastronom*innen in Zukunft nachhaltig handeln und gleichzeitig gut von ihrer Arbeit leben? Als ein Lösungsansatz stand bei der Lernwerkstatt KoWerk gemeinschaftliches Wirtschaften im Fokus. Dreizehn Teilnehmende aus sieben Unternehmen und Initiativen setzten sich an zehn Nachmittagen zwischen September und November 2024 mit kooperativen Wirtschaftsformen auseinander. Organisiert und durchgeführt hat die Lernwerkstatt Nick von Andrian, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der neu eingerichteten Humboldt-Professur für Nachhaltige Ernährungswirtschaft an der Universität Freiburg.
An der Humboldt-Professur wird unter anderem zu gemeinschaftlichem Wirtschaften geforscht und gelehrt. Die Initiative zu KoWerk ging von Prof. Dr. Arnim Wiek, dem Leiter derHumboldt-Professur, aus. Wiek hatte gemeinsam mit Thrive Consultancy ein ähnliches Ausbildungsprogramm in Phoenix/USA erfolgreich eingeführt. Die Übertragung nach Deutschland war ihm von Beginn an ein Anliegen. „Kooperatives oder gemeinschaftliches Wirtschaften hat das Potenzial, die Ernährungswirtschaft in Deutschland gerechter und resilienter zu gestalten – wenn Ausbildungsprogramme Unternehmer*innen und Konsument*innen die notwendigen Kenntnisse und Motivationen vermitteln,“ so Wiek.
„Kooperatives oder gemeinschaftliches Wirtschaften hat das Potenzial, die Ernährungswirtschaft in Deutschland gerechter und resilienter zu gestalten – wenn Ausbildungsprogramme Unternehmer*innen und Konsument*innen die notwendigen Kenntnisse und Motivationen vermitteln.“
Kooperationspartner von KoWerk waren das CSX Netzwerk, ein Verein für gemeinschaftliches Wirtschaften. Über den Ernährungsrat Freiburg & Region ist KoWerk zudem in die Entwicklung der Ernährungsstrategie für Freiburg und Region eingebunden, welche vom Innovationsfonds Klima- und Wasserschutz der badenova gefördert wird.
Kooperatives oder gemeinschaftliches Wirtschaften ist eine Jahrhunderte alte Praxis, die unter anderem durch solidarische Landwirtschaft und Mitgliederläden seit einigen Jahrzehnten wiederbelebt wird. Dabei finanziert eine Gruppe von „Mitgliedern“ gemeinsam ein Unternehmen. Statt wie im Supermarkt die jeweiligen Einkaufspreise, zahlen sie einen verbindlichen, wiederkehrenden Beitrag, wodurch das Unternehmen finanzielle Stabilität erhält. Darüber hinaus können sie sich anderweitig einbringen, beispielsweise durch Mitarbeit im Betriebsablauf oder Mitgestaltung des Sortiments. Mitglieder und Unternehmer*innen teilen sich also die finanziellen Risiken und gegebenenfalls auch die Verantwortung für geschäftliche Entscheidungen. „Läden beispielsweise können sich durch planbare Mitgliedsbeiträge eher leisten, ihr Biosortiment zu erweitern. Auch für Lebensmittel-verarbeitende Betriebe wird es so leichter, gegebenenfalls weniger profitable, dafür aber umweltschonende Produktionsmethoden anzuwenden“, erklärt von Andrian. Die konkrete Umsetzung ist allerdings kein Selbstläufer: die Rechtsform muss geklärt, das Geschäftsmodell angepasst, sowie nicht zuletzt Mitglieder geworben und gehalten werden.
„Ziel von KoWerk war es, den Teilnehmenden einen Werkzeugkoffer zu vermitteln, mit dem sie ihre eigenen Geschäftsideen anpacken können“, betont von Andrian. Um diesen Werkzeugkoffer auf die hiesigen Verhältnisse anzupassen, traf er sich im Frühjahr 2024 mit Akteur*innen aus der Region Freiburg, die schon länger gemeinschaftlich wirtschaften. „Dieser direkte Austausch mit Praktiker*innen war uns sehr wichtig. Wir wollten bewusst nicht bei unseren eigenen Fragen und unserem Wissen bleiben, sondern von Akteur*innen aus der Branche hören: Was war am Anfang nötig, um loslegen zu können? Was haben sie im Laufe der Zeit gelernt? Was hätte ihnen an verschiedenen Stellen in ihrem Prozess geholfen?“. Diese Einblicke wurden ergänzt um Gespräche und Ressourcen aus der deutschlandweiten Forschungs- und Beratungslandschaft, die sich im CSX-Netzwerk organisiert. Praxispartner*innen wurden auch als Referent*innen in die Lernwerkstatt einbezogen und gaben Einblicke in ihre Erfahrungen.
Dreizehn Teilnehmende aus sieben Unternehmen nahmen an KoWerk teil. Foto: Humboldt-Professur für Nachhaltige Ernährungswirtschaft
„Ziel von KoWerk war es, den Teilnehmenden einen Werkzeugkoffer zu vermitteln, mit dem sie ihre eigenen Geschäftsideen anpacken können.“
Zu den Teilnehmenden gehörten Unternehmen und Initiativen mit ganz unterschiedlichen Fragen und Bedarfen. Mit dabei waren beispielsweise drei Engagierte von der Initiative „Alte Markthalle“ aus Bollschweil, einer Gemeinde etwa zehn Kilometer südlich von Freiburg. Sie wollen die Alte Markthalle in ihrer Gemeinde als zentralen Ort für die Nahversorgung erhalten. Dort verkauft eine lokale Gärtnerei Obst, Gemüse und Blumen – allerdings nur noch bis 2026. „Eine gemeinschaftliche Finanzierung könnte es uns erlauben, die Alte Markthalle als einzigen Laden in Bollschweil zu erhalten und sie beispielsweise mit einem Café als Treffpunkt zu stärken“, sagt Peter Gißler, einer der Aktiven der Initiative „Alte Markthalle“. KoWerk war aus seiner Sicht eine wertvolle Starthilfe. Dabei habe vor allem der persönliche Austausch mit anderen Gruppen geholfen, die schon weiter in der Entwicklung sind. „Wir haben als Initiative jetzt klarer formuliert, was genau wir meinen, wenn wir von einem kooperativen Projekt sprechen – von der konkreten Organisation bis hin zur Frage, wer in welcher Form mitbestimmen können soll.“
Luna Waitkuwait von der Kombucha-Brauerei St. Ferment hatte diese grundlegenden Fragen für sich schon vor Beginn der Lernwerkstatt geklärt: „Ich habe an KoWerk teilgenommen, weil ich mir von einer gemeinschaftlichen Finanzierung mehr Planungssicherheit für mein Unternehmen erhoffe.“ Allerdings seien Ansätze wie ein Abonnement für ein Genussprodukt wie Kombucha nicht leicht umsetzbar. „Für mich war es besonders hilfreich, mehrere verschiedene Formen kooperativen Wirtschaftens kennenzulernen und so an meinem eigenen Konzept zu feilen. Ich werde in Zukunft beispielsweise versuchen, Mitgliedern neben dem Produkt an sich persönliche Einblicke in die Herstellung zu ermöglichen“, sagt Waitkuwait.
Ein etwas anderes Anliegen hatte die Gemüsegärtnerei Piluweri aus Müllheim. In dem seit 1997 bestehenden Betrieb gehen die bisherigen Gesellschafter demnächst in den Ruhestand. In Zukunft soll der Betrieb genossenschaftlich organisiert sein. „Wir wollen hin zu mehr Mitbestimmung, sodass nicht mehr nur einzelne Personen das Sagen haben“, betont Fabian Winkler, der für Piluweri an KoWerk teilgenommen hat. Neben dem inhaltlichen Mehrwert lobt Winkler vor allem die Methodik der Lernwerkstatt: „Check-Ins, verschiedene Formate für Fragerunden, eine Meeting-Agenda mit festen Zeiten – ich habe viel zum Thema Führungskultur mitgenommen und dazu, wie Mitbestimmung gelingt.“
Die Evaluation der Lernwerkstatt steht noch aus. Im Frühjahr 2025 wird die Humboldt-Professur für Nachhaltige Ernährungswirtschaft einen Bericht veröffentlichen, im April 2025 findet eine Abschlussveranstaltung statt. „KoWerk war ein Pilotprojekt, mit dem wir herausfinden wollten, ob unsere Pläne so aufgehen wie gedacht“, sagt von Andrian. „Auf lange Sicht ist unser Ziel, ein ähnliches Programm deutschlandweit anzubieten und zu verstetigen. Dafür entwickeln wir nun zusätzlich dezentrale, digitale Lerneinheiten, um möglichst viele Interessierte zu erreichen.“