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Astrid Steindorf


Autorin:

Anne studiert Liberal Arts and Sciences mit einem Schwerpunkt auf Kulturwissenschaften und Geschichte am University College Freiburg. Besonders interessiert sie die Schnittstelle von Wissen, Technologie und Gesellschaft sowie politische Philosophie und verbindet dies mit einer Vielzahl an Themen, von Fungi bis hin zu Feminismus. Ein Europäischer Freiwilligendienst hat sie noch in der vorpandemischen Zeit nach Estland geführt. Dort hat sie nicht nur die ulkig schöne Sprache Estnisch erkundet, sondern auch das Arbeiten mit Menschen mit Behinderung kennen und schätzen gelernt. In ihrer Freizeit tanzt sie am Freiburger Theater in der intergenerationalen Laiencompagnie SOLD (school of life and dance) und erkundet gerne die Natur mit Kletterschuhen und Skitourenlatten an den Füßen.


‚Geht nicht‘ gibt’s nicht

“Lützerath könnte heute noch stehen”, sagt Astrid Steindorf, die mit ihrem wachen Blick ihrer Aussage Nachdruck verleiht. Dabei wirkt es so, als wollte sie am liebsten direkt nach Lützerath marschieren und den RWE-Chefs diesen Satz nochmals direkt ins Gesicht sagen und unterbreiten welche sinnvolleren Alternativen es für die Energiegewinnung gibt, wenn die Welt der Mikroorganismen mitgedacht wird. Doch auch noch nach drei Wimpernschlägen schweift ihr Blick aus dem zweiten Stock des Biologiegebäudes über den Botanischen Garten in Freiburg, der zu dieser kalten Jahreszeit eher kahl dasteht. In den Fluren der Biologie hängen die neusten Forschungspublikationen, in den Labors schütteln Apparaturen Lösungen, zentrifugieren oder halten sie konstant auf einer Temperatur zwischen -80° und +75°.  Hier wird Grundlagenforschung betrieben und zwar an den winzigen Organismen, den Archaeen, die eine der drei Domänen an zellulären Lebewesen neben Bakterien und Eukaryoten (zu Eukaryoten gehören Pflanzen, Tiere und Pilze) darstellen. Astrid Steindorf organisiert dieses Labor der Mikrobiologie seit dreißig Jahren. Sie hält diese Apparaturen am Laufen, kümmert sich darum, dass die Infrastruktur zum Forschen funktioniert und beteiligt sich auch selbst aktiv daran. Aus ihrer langen Forschungserfahrung an Mikroorganismen entwickelte sich über die Jahre der Traum all ihr verschiedenes Wissen über Technologien aber auch winzige Lebewesen zu vereinen.

Zusammen mit einem Kollegen setzt sie sich für die Ausarbeitung einer Alternative zum Kohleabbau ein, der Hydrothermalen Carbonisierung (HTC). Vor 100 Jahren wurde das Verfahren von dem deutschen Chemiker und Nobelpreisträger Friedrich Bergius entwickelt: aus organischen Abfällen entstehen unter Druck viele Komponenten u.a. auch synthetische Kraftstoffe. Der nötige Druck für das HTC-Verfahren könnte laut Steindorf durch eine geschickte Ortswahl erreicht werden. Ehemalige Stollenschächte bieten die erforderliche Tiefe für den benötigten Druck und eine oberirdische Infrastruktur, die nur darauf wartet, in einem neuen Zusammenhang genutzt zu werden. Nach Steindorf würde die Ausweitung des HTC Verfahrens, -vermeintliche Abfallprodukte, wie das Abwasser werden weitergenutzt – gerade den Reiz in der heutigen Zeit ausmachen. Energie und neue Produkte können aus Bioabfällen durch Archaeen, Purpurbakterien, Cyanobakterien und andern Mikroorganismen entstehen und zur notwendigen CO2-Reduktion einen großen Beitrag leisten. Angeschlossene Insektenfarmen und Algen- und Moosproduktionsanlagen könnten diese Energie nutzen um Nahrung und pharmazeutische Produkte zu erzeugen und gleichzeitig für weiteren Biomasse zu sorgen. Bis ein solches HTC Verfahren in Betrieb genommen werden kann müssen noch viele Fragezeichen geklärt werden. Für Steindorf steht allerdings fest, gemäß ihrem Lebensmotto „‘Geht nicht’ gibt‘s nicht“ wird sie weiter an dieser Vision arbeiten und sich für einen gesellschaftlichen und politischen Wandel einsetzen.

Die medizintechnische Assistentin ist der Dreh- und Angelpunkt des Labors, sie vereint technische Erfahrung und Klarheit mit Feingefühl fürs Miteinander. Schmunzelnd erzählt sie, dass sie unter den Studierenden seit der Corona-Zeit als „Schwimmflügelchen Astrid“ bekannt ist. Die Namensschöpfung entstand als Reaktion auf ein Video, in dem sich Steindorf zur Vermittlung des sterilen Arbeitens kurzerhand Schwimmflügel über Ihre Arme stülpte – saubere Laborarbeit sei eine Frage der Körperhaltung. In der Wissensvermittlung sei es ihr immer wichtig sich auf die Studierenden und ihre Bedürfnisse einzulassen, erst dann könne die Person einen wirklichen Lernerfolg erleben.

Aufmerksam und respektvoll Menschen zu begegnen, praktiziert Steindorf nicht nur im Labor und im Kontakt zu den Studierenden, sondern auch als Reiki-Meisterin, einer japanischen Heilmethode, die sie seit Jahrzehnten schon begleitet. Dass sie deswegen auch als „Labormama“ bezeichnet wird, nimmt sie mit Humor. Als sie jedoch auf strukturelle Diskriminierungsformen in der Wissenschaft zu sprechen kommt, wird ihr Gesicht ernst. „Die Wissenschaft darf nicht von alten Strukturen dominiert werden und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss insbesondere für Frauen verbessert werden.“ Für diese Themen und um den wissenschaftsunterstützenden Gruppen eine Stimme zu geben engagiert sie sich sowohl auf Fakultätsebene als auch als Senatorin im höchsten gewählten Gremium der Universität. Genau wie bei der Energieversorgung, gibt es hier noch viel zu tun. Und wie bei allen anderen Dingen, die Astrid Steindorf so angeht, nimmt sie auch hier immer möglichst viele Kolleg*innen mit.