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Laura Renner

„Das macht einfach keinen Spaß, das ständige ‚Wo?‘ und ‚Wie?‘ “

Autorin:

Leah Bohr hat ihren Bachelor in Anglistik und Kognitionswissenschaft an der UFR gemacht und studiert letzteres jetzt im Master in Tübingen. Wenn sie nicht grade am Arbeiten oder Programmieren ist, findet man sie meistens im Gym oder draußen auf ihrem pinken Fahrrad. Trotz ihrer Workaholic-Tendenz weiß sie, wie man entspannte Abende auf dem Balkon mit selbstangebauten Tomaten genießen kann. Ihre Spanisch-Kenntnisse hat sie zu großen Teilen durch Anime Untertitel erworben.


Im Wettlauf gegen die akademische Uhr

Der Weg lag klar und deutlich vor ihr: Ein VWL/BWL Bachelor mit anschließendem Masterstudium, eine Spitzen-Promotionsstelle und dann eine Professur. Mit großem Ehrgeiz arbeitet Dr. Laura Renner an ihren Veröffentlichungen, geht auf Konferenzen und bereitet ihre Kurse vor, doch die erhoffte Berufung zur Professorin bleibt aus. Die Ausschreibungen für Professuren fordern veröffentlichte Artikel, am besten in den Top-Journals, die der Fachbereich zu bieten hat, und bitte nicht zu wenig davon. Im Prinzip hätte Laura Renner das auch gerne. Wem gefällt es schließlich nicht, sich als Erstautorin zu einem faszinierenden Thema? Die Unterlagen für ihre Publikationen sind vollständig abgeschickt, die Fristen sind eingehalten, aber der Prozess zieht und zieht sich hin.

Zwei Jahre wartet sie auf eine Veröffentlichung ihrer Arbeiten zu Migrationsforschung und geschlechtsspezifischen Fluchtentscheidungen. Das sind zwei Jahre, in denen sie auf Papier keinen großen akademischen Fortschritt vorweisen kann, und die Uhr hört nicht auf zu ticken. Sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion hat man Zeit, um mit befristeten Verträgen die Karriereleiter an der Uni hochzusteigen. Erhält man innerhalb dieser 12 Jahre keine unbefristete Stelle, ist man auf Drittmittel angewiesen und dann „wird es unschön“, so Renner. Dies ist oft nicht nur schwer zu organisieren, sondern bringt einen zusätzlichen Druck mit sich, der einen beim Arbeiten und Bewerben stets beschwert.

Mit der akademischen Uhr im Nacken und zunehmender Frustration über die Trägheit der Entscheidungsprozesse im Allgemeinen entschloss sich Laura Renner dazu, die Reißleine zu ziehen und sich aus dem universitären Betrieb zurückzuziehen. „Das macht einfach keinen Spaß, das ständige ‚Wo?‘ und ‚Wie?‘ “ erzählt sie. Sie hat keine Lust mehr darauf, sich mit 3-Jahres Verträgen zu begnügen, nicht zu wissen, ob sie vielleicht doch im nächsten Jahr für eine eventuelle Professur umziehen müsste, oder wie sie die Familienplanung gestalten kann. Ihre eigene Unzufriedenheit findet sie bei anderen Postdoktorand*innen wieder, mit denen sie ins Gespräch kommt, und auch online sieht sie junge Forschende, die unter dem Hashtag #ichbinhanna ihren Frust publik machen. Einige verlassen sogar Deutschland, um ihrem Traum einer Professur auf Lebenszeit nachzugehen, aber das war es Laura Renner dann doch nicht wert. Die Entscheidung, zu gehen, war nicht leicht und obwohl sie ihre Erfahrungen alle in einem erfrischend positiven und optimistischem Licht darstellt, kann man hören, dass ein gewisses Maß an Frustration weiterhin mitschwingt. Die Gedanken an eine Uni-Karriere sind bei Laura Renner nicht ganz verflogen und sie wünscht sich, dass es kommende Generationen von Postdocs leichter haben.

Jetzt arbeitet sie in der Privatwirtschaft bei der JobRad Holding SE im Bereich Strategie und freut sich, dass sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten für das Ziel der nachhaltigen Mobilität tagtäglich konstruktiv einbringen kann. Den Karrierewechsel bereut sie kein bisschen: Das neue Team kommuniziert sehr gut untereinander, es geht deutlich schneller, Ergebnisse zu liefern, und sie muss nicht zwei Jahre für eine Veröffentlichung auf der Stelle treten. Trotz der positiven neuen Erfahrungen und der Zufriedenheit über ihre Wahl, war der Ausstieg aus dem universitären Umfeld für Laura Renner keine leichte Entscheidung. Es kommt ihr daher sehr gelegen, dass sie nicht alle Kollaborationen, die sie an der Uni hatte, direkt aufgeben muss. Sie hat die Möglichkeit, ihre alten Kontakte weiterhin zu pflegen und auch die Projekte, die sie begonnen hatte, noch in Ruhe abzuschließen.

Ein Projekt, das Renner besonders am Herzen liegt, ist das WomanStats Project, dessen Datenbank die größte länderübergreifende Zusammenstellung von Daten, Statistiken und Karten über den Status von Frauen weltweit ist. Das WomanStats Project umfasst mehr als 350 Variablen für insgesamt 176 Länder, unter anderem Faktoren wie häusliche Gewalt, politische Beteiligung oder Alphabetisierungsrate. Das Besondere an diesem Projekt ist für sie der interdisziplinäre Perspektivwechsel, den sie bei der Zusammenarbeit dazu erfahren durfte. Aktuell hat sie aufgrund ihrer Schwangerschaft und Karriereumstellung ihre Mitarbeit an dem Projekt ausgesetzt, ist aber weiterhin mit der Arbeitsgruppe in Kontakt und kann sich auch vorstellen, später wieder mitzuarbeiten.

Obwohl Laura Renner also offiziell nicht mehr an der Uni beschäftigt ist und ihr Ziel einer Professur nicht mehr verfolgt, blickt sie positiv auf ihre Zeit, die wertvollen Erfahrungen und spannenden Kontakte zurück, die sie so mitnehmen konnte. Sie ist weder missgünstig noch verbittert und ihr verschmitztes Grinsen zieht sich durch all ihre Erzählungen. Sie steht voll und ganz zu ihren Entscheidungen und es liegt auch ein bisschen Stolz in ihrer Stimme, wenn sie darüber spricht, diese getroffen zu haben. Den Mut zu haben, einen so lange verfolgten Wunsch aufzugeben, ist nicht nur ein Ende, sondern ein vielversprechender Neuanfang. Um ihren Mut kann man Laura Renner wirklich nur beneiden.